Mosesbrunnen (Dijon)
Der Mosesbrunnen in der Chartreuse de Champmol in Dijon ist das Hauptwerk Claus Sluters. Er steht außerhalb des Stadtzentrums von Dijon im Garten des ehemaligen Klosters Champmol im Bereich der ehemaligen Grabkirche der Herzöge von Burgund. Heute befindet sich hier eine psychiatrische Anstalt, in die man auch hineinfahren muss, um den Brunnen zu sehen.
Der Brunnen war ursprünglich als monumentaler Kalvarienberg für den Kreuzgang ausgeführt. Sechs Prophetenfiguren (Mose, David, Jeremia, Sacharja, Daniel, Jesaja) stehen im Brunnensockel und es gab eine Kreuzigungsgruppe als Bekrönung, die nur noch als Fragment erhalten ist. Der Mosesbrunnen ist das dritte und bekannteste Werk Sluters, welches als Höhepunkt seiner Schaffensphase gesehen werden kann. Wahrscheinlich beruht der Brunnen auf der Idee des „Fons vitae“, des Lebensbrunnens. Zwischen dem 24. September 1405 und dem 31. Januar 1406 starb der niederländische Bildhauer Claus Sluter in Dijon. Sein Werk lässt erkennen, dass er zu diesem Zeitpunkt die Höhe seines Lebens bereits überschritten hatte und an der Schwelle des Greisenalters stand.
Der Moses-Brunnen wurde von 1395 bis 1405 geschaffen. Die ganze Brunnenanlage befindet sich heute in einem Glashaus. Ursprünglich befand sich hier die ganze Kalvarienberg-Szene mit Christus am Kreuz, Maria, Johannes und Magdalena zu Füßen. Dieser Hauptteil des Werkes war schon vor der Französischen Revolution weitgehend zerstört oder verschwunden. Erhalten sind nur die sechs den Brunnen umstehenden Propheten: Moses, David, Jeremias, Zacharias, Daniel und Isaias, jeder mit einem Spruchband, das die jeweilige Weissagung trägt.
David und Jeremias
David mit der Königskrone – rechts daneben Jeremias mit dem Buch. Ein sechsstimmiger Klagegesang steigt von den Spruchbändern zum ehemals vorhandenen Kreuz empor. Auf diesen Bändern stehen Aussagen Christi. Der große niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga hat den Brunnen folgendermaßen beschrieben: „Die ganze Darstellung bietet im höchsten Maße Züge des geistlichen Spieles. Das liegt in dem außergewöhnlich stark Sprechenden der Darstellung. Das geschriebene Wort der Aufschriften nimmt in dieser Gruppe einen wichtigen Platz ein. Man dringt zum Verständnis des Werkes erst durch, wenn man die ganze heilige Tragweite jener Texte in sich aufnimmt.“ Bei David: „Foderunt manus meas et pedes meos, dinumeravi omnia ossa mea“ („Sie haben meine Hände und Füße durchgraben; ich kann alle meine Gebeine zählen“). Der Text auf dem Spruchband des Jeremias lautet: „O vos omnes qui transitis per viam, attendite et videte si est dolor sicut dolor meus“ – „O ihr alle, die ihr vorübergehet: schauet doch und sehet, ob irgendein Schmerz sei wie mein Schmerz“.
Daniel
Der Spruch des Daniel lautet: „Post ebdomades sexaginta duas occidetur Christus“ („Und nach den zweiundsechzig Wochen wird der Gesalbte getötet werden“). Nahaufnahmen zeigen, mit welcher detailgenauen Charakterisierung Sluter diese herrschaftliche Figur ausgestattet hat. Eine gewisse Ähnlichkeit zu den hundert Jahre jüngeren Figuren des Michelangelo ist nicht zu übersehen.
Moses
Die mächtigste Gestalt der ganzen Gruppe ist Moses. Diese alttestamentliche Prophetenfigur ist das wohl berühmteste Werk Claus Sluters mit seiner für die damalige Zeit und auch heute noch spürbaren ungeheueren Wucht, die allein schon durch die Gewandfaltung hervorgerufen wird. Auch Michelangelo hat später bei seinem Moses mit solchen Mitteln gearbeitet. Vom eigentlichen Körper des Moses sind nur die fast verdeckten Finger der Hände und der Teil des Gesichtes zu sehen, der nicht von dem mächtigen Bart überdeckt wird.
Der Blick des Mannes beweist die zürnende Entschlossenheit, mit der er bereit ist, sein Volk durch alle Widerstände hindurch ins Gelobte Land zu führen. Der Betrachter wird durch diesen Blick unmittelbar angesprochen. Von philosophischer Reserviertheit und gedanklicher Reflexion ist hier keine Rede. Das sind in erster Linie handelnde Figuren. Spruch: „Immolabit agnum universa multitudo filiorum Israhel ad vesperam“ („Die ganze Gemeinde Israel soll das Lamm schlachten gegen Abend“).
Man muss sich das Werk auch noch in seiner Vielfarbigkeit vorstellen, die sich aus den erhaltenen Farbresten rekonstruieren lässt, so wie es Jean Maelweel (oder auch geschrieben Jean Malouel) bemalt und Hermann von Köln vergoldet hatte. Hier war kein bunter oder drastischer Effekt ausgespart. Auf den grünen Sockeln standen die Propheten in goldenen Mänteln, Moses und Sacharja in roten Übergewändern, die Mäntel blau gefüttert, der des David ganz in Blau mit goldenen Sternen, bei Jeremias in Dunkelblau, bei Jesaias, dem Betrübtesten von allen, in Brokat. Goldene Sonnen und Initialen füllten die freien Stellen, nicht zu vergessen die Wappen etc.
- Mosesbrunnen, Dijon, Jeremias und Zacharias
- Daniel und Jesaja
- Moses und David
- David und Jeremias
- Jeremias
- Jesaja
- Zacharias, Daniel und Jesaja
- Daniel und Jesaja
Literatur
- Evelyn Theresia Kubina: Der Mosesbrunnen im Kontext. Diplomarbeit an der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, 2008 (Online-Version)
- Johan Huizinga: Herbst des Mittelalters. Stuttgart 1975, S. 375
- Bart van Loo: Burgund – Das verschwundene Reich – Kapitel Schönheit und Wahnsinn S. 187 ff