Mater semper certa est
Das lateinische Rechtssprichwort Mater semper certa est („die Mutter ist immer sicher“) bezieht sich auf die Mutter im Rechtssinne. Mutter des Kindes ist danach immer die Frau, die es geboren hat. Die Mutterschaft ist damit leicht festzustellen.
Da Phänomene wie Eispende, Leihmutterschaft und In-vitro-Fertilisation erst seit kurzer Zeit existieren, schien diese Regel zur Zeit ihrer Entstehung fehlerfrei, jedenfalls wenn feststand, welche Frau das Kind geboren hatte. Eine Ausnahme stellt der Fall dar, der in der Parabel vom kaukasischen Kreidekreis bei Bertolt Brecht behandelt wird, die auf ein Urteil Salomos zurückgeht (1 Kön 3,16–28 ): Zwei Frauen streiten sich um ein Kind und behaupten beide, es geboren zu haben. Unbekannt ist die Mutterschaft auch bei Findelkindern (zum Beispiel solchen, die in einer Babyklappe abgelegt werden).
Als Reaktion auf neue Fortpflanzungstechniken musste im Recht der Gegenwart das Problem gelöst werden, wer als Mutter gilt, wenn die Geburt nicht durch die genetische Mutter erfolgt. Im österreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) wurde deshalb 1992 ein neuer § 137b, heute § 143, eingefügt: „Mutter ist die Frau, die das Kind geboren hat.“ Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) folgte 1997 mit § 1591: „Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat.“
Der lateinische Rechtsspruch aber geht weiter. Nach der früher einfachen Aussage über die Person der Mutter kommt das eigentliche Rechtsproblem, nämlich die Feststellung des Vaters. Eigentlich gilt ja: Pater semper incertus est („der Vater ist immer ungewiss“), denn für den Vater gibt es kein mit der Geburt des Kindes gleichwertiges äußeres Beweiszeichen seiner Vaterschaft. Es bleibt immer die Möglichkeit, dass jemand anders als der Ehemann der wahre Vater ist. Um einer solchen Rechtsunsicherheit vorzubeugen, heißt es weiter: Pater est, quem nuptiae demonstrant („Vater ist, wer durch die Heirat als solcher erwiesen ist“). Das bedeutet: In Ansehung der während einer bestehenden Ehe erzeugten Kinder gilt der Ehemann der Mutter als Vater der Kinder, solange die Vaterschaft des Ehemanns nicht erfolgreich vor Gericht durch eine Vaterschaftsanfechtungsklage (früher: Ehelichkeitsanfechtungsklage) angefochten wurde. Damit entspricht die lateinische Regel weiter der Rechtslage nach dem heutigen § 1592 Nr. 1 BGB bzw. dem § 144 Abs. 1 Z 1 ABGB. Allerdings wird diese gesetzliche Vermutung nicht mehr fraglos hingenommen: Väter wollen durch einen Vaterschaftstest (DNA-Analyse) Klarheit über ihre genetische Vaterschaft und daraus entspringende Unterhaltsverpflichtungen – Stichwort „Kuckuckskind“ – erreichen.