Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit
Die zuerst in Berlin gegründeten Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit unterstützten junge Mädchen und Frauen des gehobenen Bürgertums auf der Suche nach einer „sinnvollen Tätigkeit“.
Geschichte
Der Verein wurde am 8. Dezember 1893 in Berlin konstituiert. Die Initiatoren waren sozialpolitisch engagierte und prominente Frauen sowie Männer wie beispielsweise Jeanette Schwerin, Henriette Goldschmidt, Lina Morgenstern, Franziska Tiburtius, Gustav Schmoller, Max Sering, Henriette Schrader-Breymann und ihr Ehemann Karl Schrader. Minna Cauer und der junge Jurist Max Otto Köbner waren die Hauptakteure und treibenden Kräfte.[1] Ihre Intention war, junge Mädchen und Frauen des gehobenen Bürgertums zur freiwilligen Unterstützung in der Armen- und Wohlfahrtspflege heranzuziehen, um ihrer Verpflichtung der ärmeren Volksklassen gegenüber durch den Einsatz persönlicher Fürsorge nachzukommen. Diesbezüglich wurde deutlich hervorgehoben, dass es sich um ‚keinerlei Emancipationsbestrebungen‘ handle, ‚lediglich darum, junge Mädchen und Frauen zu ernster Pflichterfüllung im Dienste der Gesamtheit heranzuziehen‘.[2] Trotzdem dürfte auch eine Rolle gespielt haben, zumindest bei den weiblichen Initiatorinnen, nicht nur Kräfte für die karitative Arbeit heranzuziehen, … sondern auch Nachwuchs für die Frauenbewegung (zu) rekrutieren.[3] Die Mädchen und jungen Frauen sollten in Krippen, Horten, Waisenhäusern, Blindenheimen, Volksküchen, Stellenvermittlungen für ehrenamtliche Kräfte, Kleiderkammern, Abendheimen oder Freizeitclubs für Arbeiterinnenin, in der Krankenhausfürsorge u. dgl. m. tätig werden, ferner unentgeltlichen Klavierunterricht erteilen oder Spaziergänge mit Kleinrentnern durchführen.
Jeanette Schwerin leitete bis zu ihrem Tod im Jahre 1899 die Gruppen. Die Berliner Gruppen waren Vorbild für weitere Gründungen in anderen Städten Deutschlands, wie beispielsweise in Bremen, Frankfurt/Main, Hamburg, Königsberg, Leipzig, Stuttgart etc.
In Kursen wurde versucht die für die ehrenamtliche soziale Arbeit nötigen Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln:
„Den Anfang der Ausbildungsaktivitäten machten Vortragsveranstaltungen, die allgemein bilden, eine berufliche Orientierung bieten und bei den Frauen ein Verständnis für die Lage der arbeitenden Volksklassen herbeiführen sollten. Die Vorträge umfassten Themen aus dem Bereich Gesetzeskunde, Volkswirtschaftlehre, Grundlehren der Armen- und Kinderfürsorge. Eine Vortragsveranstaltung zum Thema ‚Soziale Hilfstätigkeit in England und Amerika‘ verweist darauf, dass der internationale Bezug auch im Bereich der inhaltlichen Schulung schon früh eine Rolle gespielt hat.“[4]
Im Jahre 1897 begann Jeanette Schwerin mit der Planung von festen Jahreskursen zu beruflichen Ausbildung in der Wohlfahrtspflege. Damit schaffte sie die Grundlage für eine professionelle soziale Berufsarbeit. 1899, im gleichen Jahr in dem Jeanette Schwerin starb, wurde der erste Jahreskurs, unter Beteiligung von Emil Münsterberg, durchgeführt. Dieser umfasste einen theoretischen und praktischen Teil: Unterweisung über wirtschaftliche und soziale Verhältnisse, öffentliche Gesundheitsfürsorge und verwandte Gebiete, praktische Arbeit in unterschiedlichsten Wohlfahrtseinrichten.
Folgend übernahm Alice Salomon den Vorsitz der Gruppen. Sie hatte deren Profil und Weiterentwicklung entscheidend und innovativ beeinflusst. Die neue Vorsitzende erstrebte in enger Zusammenarbeit mit den Gruppen sowie dem Berliner Verein für Volkserziehung die Gründung einer eigenen Ausbildungsstätte, die 1908 als Soziale Frauenschule ihre Arbeit aufnahm.[5]
Ab den 1920er Jahren waren die Gruppen kaum in der Öffentlichkeit präsent, erst wieder um 1930. Die letzte Vortragsreihe wurde im Winter 1932/33 durchgeführt. Das Thema lautete, entsprechend Karl Jaspers 1931 veröffentlichten sowie weitverbreiteten Publikation: Die geistige Situation der Zeit. Am 2. März 1933 fand die letzte Vorstandssitzung, der sich inzwischen Frauengruppe für soziale Arbeit nennenden Vereinigung, statt. Neben Alice Salomon waren u. a. anwesend: Hildegard Böhme, Charlotte Dietrich, Hildegard von Gierke, Hilde Lion, Dora Peyser, Käte Rosenheim und Siddy Wronsky.
Quellen
- Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit in Berlin (Hrsg.): Denkschrift anläßlich des 10-jährigen Bestehens 1883–1903. Berlin o. J.
- Alice Salomon: Zwanzig Jahre Soziale Hilfsarbeit. Anläßlich des zwanzigjährigen Bestehens der ‚Mädchen und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit‘ in Berlin. Berlin 1913
Literatur
- Judith Grässler: Die „Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit“ und ihr Beitrag zur Professionalisierung der Sozialen Arbeit in Deutschland. Stuttgart 2004 (unveröffentlichte Diplomarbeit)
- Anette Kniephoff-Knebel: Internationalisierung in der Sozialen Arbeit. Eine verlorene Dimension der weiblich geprägten Beruf- und Ideengeschichte. Wochenschau-Verlag, Schwalbach am Taunus 2006, S. 79–82, ISBN 3-89974-284-2.
- Carola Kuhlmann: Alice Salomon. Ihr Lebenswerk als Beitrag zur Entwicklung der Theorie und Praxis Sozialer Arbeit. Deutscher Studien Verlag, Weinheim 2000, ISBN 3-89271-927-6.
- Christoph Sachße: Mütterlichkeit als Beruf. Sozialarbeit, Sozialreform und Frauenbewegung 1871 bis 1929. Beltz, Weinheim / Basel / Berlin 2003, S. 103–111, ISBN 3-407-55894-5.
- Iris Schröder: Arbeit für eine bessere Welt. Frauenbewegung und Sozialreform 1890–1914. Campus, Frankfurt am Main 2001, S. 82–91, ISBN 3-593-36783-1 (= Geschichte und Geschlechter, Band 36; zugleich Dissertation FU Berlin 2001).
- Anja Schüler: Frauenbewegung und soziale Reform. Jane Addams und Alice Salomon im transatlantischen Dialog 1889–1933. Steiner, Stuttgart 2004, S. 190–211, ISBN 3-515-08411-8 (= Transatlantische historische Studien, Band 16, zugleich Dissertation an der FU Berlin 2000 unter dem Titel: Dienst am Volksganzen).
Archive
Einzelnachweise
- Grässler 2004, S. 23 ff
- Grässler 2004, S. 25
- Schüler 2004, S. 193
- Kniephoff-Knebel 2006, S. 81
- vgl. Kuhlmann 2000, S. 53 ff.