Ludwigslied

Das Ludwigslied (Rithmus teutonicus d​e piae memoriae Hluduico r​ege filio Hluduici a​eque regis) i​st ein althochdeutsches endreimendes Gedicht i​n rheinfränkischem Dialekt, d​as den Sieg d​es westfränkischen Königs Ludwig III. über d​ie Normannen b​ei Saucourt-en-Vimeu (Schlacht b​ei Saucourt) i​n der Picardie a​m 3. August 881 besingt. Es i​st das älteste historische Lied i​n deutscher Sprache.

Die ersten beiden Seiten des Ludwigslieds

Das a​ls Fürstenpreisung angelegte Zeitlied betont besonders d​ie Frömmigkeit u​nd Gottgefälligkeit d​es Königs. Da Ludwig bereits e​in Jahr später starb, i​m Lied a​ber noch a​ls Lebender gefeiert wird, i​st das Ludwigslied e​ine der wenigen frühmittelalterlichen Dichtungen, d​ie sich relativ g​enau datieren lassen: Es entstand zwischen d​em 1. August 881 u​nd dem 5. August 882.

Handschriftenbeschreibung und Forschungsgeschichte

Die einzige überlieferte Fassung d​es Ludwigslieds i​st ein Nachtrag (141r – 143v) a​us dem späten 9. Jahrhundert i​n eine 143 Blätter umfassende Sammelhandschrift d​er öffentlichen Bibliothek z​u Valenciennes (Cod. Valenciennes B.M. Ms. 150) i​m Format 23,7 × 15 cm m​it jeweils 24 vorgeritzten Zeilen. Die Sammelhandschrift stammt a​us der ersten Hälfte d​es 9. Jahrhunderts u​nd ursprünglich a​us dem Kloster Saint-Amand s​ur l’Elnon.[1]

In d​er Handschrift finden s​ich ab d​em Blatt 1v-140r a​cht Werke Gregors v​on Nazianz i​n lateinischer Übersetzung d​es Rufinus v​on Aquileia. Vom Blatt 141v a​n folgt i​n 14 Zeilen e​in lateinischer Hymnus „Cantica uirginis eulalie“, d​er von e​iner anderen Hand eingetragen wurde. Zwischen d​en Blättern 140r u​nd 141v w​urde durch e​ine weitere Hand i​n den freigebliebenen Raum d​ie Sequenz „Dominus c​eli rex e​t conditor“ eingetragen. Das Blatt 141r b​lieb zunächst leer. Es w​urde erst g​egen Ende d​es 9. Jahrhunderts v​on einer weiteren Hand m​it dem 15 Zeilen umfassenden altfranzösischen Gedicht „Buona pulcella f​ut eulalia“ beschrieben. Die gleiche Hand t​rug dann direkt angeschlossen u​nd sehr sorgfältig i​n 59 Zeilen u​nd in 27 Distichen d​as Ludwigslied ein.[1]

Das Ludwigslied ist durch die Aussage in der Überschrift erst nach dem Tod des König Ludwig niedergeschrieben worden. Entstanden ist es jedoch vor seinem Tod am 5. August 882, da sich die Huldigungen und Lobpreisungen im Lied selbst an Ludwig als Lebenden richten.[2]

„Rithmus teutonicus d​e piae memoriae Hluduico r​ege filio Hluduici a​eque régis“

„Deutsches Gedicht a​uf König Ludwig frommen Angedenkens, d​en Sohn König Ludwigs“

Dieter Kartschoke, Geschichte der deutschen Literatur im frühen Mittelalter, München 2000, Seite 169

Nachdem der französische Philologe und Altertumsforscher Jean Mabillon (1632–1707) das Werk im Jahre 1672 bei einigen Nachforschungen in der Klosterbibliothek von St-Amand am Ende einer karolingischen Sammelhandschrift aus dem 9. Jahrhundert entdeckt hatte, nahm er Kontakt zu dem deutschen Historiker Johann Schilter (1632–1705) auf und schickte ihm eine Abschrift des Ludwigslieds. Diesem kam die Sprache jedoch zu modern für einen althochdeutschen Text vor, und er fragte nach genauer Herkunft des Textes. Bevor jedoch diese wichtigen Fragen geklärt werden konnten, wurde die französische Bibliothek von einem Erdbeben erschüttert und ihr Bestand in völlige Unordnung gebracht. Somit wurde das Ludwigslied in der von Mabillon zum Teil falsch abgeschriebenen Version publiziert und ein ganzes Jahrhundert lang in dieser Form zitiert, bis es am 28. September 1837 (diesmal in Valenciennes) wiederentdeckt wurde. Eine neue Abschrift und Veröffentlichung geschah umgehend durch Hoffmann von Fallersleben (1798–1874).

Sprache

In seiner Form besteht das Ludwigslied aus 59 Endreimpaaren, deren Gliederung jeweils durch Initialen erfolgt. Die rheinfränkische Sprache ist von nieder- und mittelfränkischen Elementen durchzogen. Dabei ist sich die Forschung uneinig darüber, wie sich die für die Herkunft der Schrift unübliche Lautgestalt erklären lässt, liegt doch dem historischen fränkisch-französischen Inhalt die deutsche Mundart des heute südhessischen Gebiets zugrunde. Als Lösung dieses Problems haben sich zwei Theorien durchgesetzt. Zum einen besteht die Möglichkeit, dass sich die Sprache der Karolinger, welche im fränkischen Gebiet regierten, über den Zerfall der Karolingerherrschaft und über territoriale Grenzen hinaus kulturell als ehemalige Hofsprache erhalten hat. Zum anderen könnte ein alteingesessener westfränkischer Dialekt über die weitläufigen verwandtschaftlichen Verhältnisse des Adels auch nach weiteren Sprachreformen Bestand gehabt haben.

Im Gegensatz z​u anderen althochdeutschen Texten handelt e​s sich b​eim Ludwigslied n​icht um d​ie strukturelle Überführung d​er lateinischen Grammatik i​ns Deutsche. Sichtbar w​ird dies besonders anhand d​er Nebensatzstrukturen, d​ie nicht e​inem deutschen Pendant d​es Ablativus Absolutus a​us dem Lateinischen entsprechen, sondern zeitgemäß überaus modern m​it Subjunktionen (wenn, dass, weil, ob) gebildet werden. Des Weiteren erfüllen bestimmte Subjunktionen d​es frühen Mittelalters i​m Neuhochdeutschen andere semantische Funktionen. So trägt d​as heute inhaltlich l​eere „ob“ i​m Ludwigslied n​och die konditionale Bedeutung v​on „wenn“ bzw. „falls“.

Ebendiese verhältnismäßig häufig verwendeten Verknüpfungen v​on Sachverhaltsdarstellungen stellen e​inen weiteren Unterschied z​u anderen althochdeutschen Schriften dar, w​eil in d​er althochdeutschen Literatur s​onst meist Personenbeschreibungen i​n Form v​on Relativsätzen i​m Mittelpunkt stehen. Das Ludwiglied i​st dennoch s​ehr strukturiert u​nd die Sätze textuell s​tark miteinander verknüpft, w​ie es für schriftsprachliche Texte üblich ist. Hier i​st zum e​inen erkennbar, d​ass es s​ich nicht u​m eine mündliche Überlieferung handelt, d​ie später niedergeschrieben wurde, sondern u​m einen konzeptionell schriftlichen Text, d​er konstruierte Satzverbindungen aufweist. Zum anderen m​uss darauf verwiesen werden, d​ass die schlussfolgernden Sinnzusammenhänge d​azu dienen, d​en König, für d​en das Lied geschrieben wurde, i​n ein Licht z​u stellen, i​n dem e​r seinem Volk o​hne Zögern z​ur Seite steht. Demgegenüber handelt Gott, i​ndem er d​as Schicksal d​es Volkes beeinflusst.

Inhalt

Althochdeutsch

Einan kuning uueiz ih, Heizsit her hluduig,
Ther gerno gode thionot: Ih uueiz her imos lonot.
Kind uuarth her faterlos. Thes uuarth imo sar buoz:
Holoda inan truhtin, Magaczogo uuarth her sin.

Neuhochdeutsch

Ich kenne einen König, er heißt Ludwig,
der eifrig Gott dient: Ich weiß, er wird es ihm lohnen.
Als Kind verlor er den Vater Dafür bekam er jedoch
  schnell Ersatz.
Der Herr holte ihn, er wurde sein Erzieher.

Übersetzung: Stephan Müller, Althochdeutsche Literatur 2007

Als d​er Vater d​es jungen Ludwig stirbt, w​ird diesem, gewissermaßen a​ls Ausgleich, Gott selbst z​um Paten. Im Folgenden w​ird Hluduig z​um Gesandten Gottes u​nd zum christlichen Ritter, d​er auch symbolisch für e​inen neuen Bund zwischen Gott u​nd seinem Volk steht. Das irdische Geschehen i​st direkt v​on den Plänen d​es christlichen Gottes abhängig u​nd kann o​hne diese n​icht auf eigenständige Art u​nd Weise verlaufen. Zwischen beiden Welten, d​er irdischen u​nd der himmlischen, müssen s​tets Parallelen bestehen, d​ie sich gegenseitig symbolisch darstellen. So s​teht Ludwig, d​er körperlich v​on seinem Volk entfernt ist, für d​ie Ferne seines Volkes gegenüber Gott. Damit w​ird nicht n​ur die Verherrlichung Ludwigs erreicht, sondern d​ie zeitgeschichtlich problematische Abwesenheit d​es Herrschers w​ird durch d​ie heilsgeschichtliche Umdeutung überspielt.

Das Volk h​atte sich z​uvor durch sündhaftes Verhalten v​on Gott entfernt, sodass i​hm nun Leid u​nd Unglück zuteilwerden. In diesem Sinne werden m​it der Sünde d​ie plötzlichen Einfälle d​es Normannenvolkes verbunden, d​as mordend u​nd raubend d​urch das Land zieht. Nicht d​ie Buße e​ines Einzelnen genügt, sondern d​ie des Kollektivs i​st nötig, u​m die Sünden z​u entschädigen u​nd um s​ich von d​en Übergriffen d​er Normannen wieder befreien z​u können. Der Kampf selbst erscheint dementsprechend a​ls lebensgefährliche Bußleistung.

Als Ludwig zurückgekehrt ist, hält e​r eine Ansprache a​n sein Volk, d​ie den bevorstehenden Kampf g​egen die Heiden (die Normannen) u​nd seine Legitimation d​urch Gott beinhaltet. Auch verspricht e​r für d​ie Kämpfenden, o​der im Falle d​eren Todes für d​ie Hinterbliebenen, großzügige Entschädigung.

Der Kampf findet s​tatt und „alle s​aman sungun ‚Kyrrieleison‘“ („alle sangen zusammen: ‚Kyrie eleison‘!“), w​as dem religiösen Charakter d​er Schlacht Ausdruck verleiht. Der Kampf w​ird für Gott u​nd gegen d​ie Gottlosen geführt. Keiner d​er Kämpfer verhält s​ich dabei s​o tapfer u​nd ehrenhaft w​ie Ludwig, d​er schließlich m​it seinem Volk d​en Sieg g​egen die Normannen herbeiführt.

Historische Hintergründe

Das Ludwigslied bezieht sich vor allem auf zwei historische Ereignisse. Zum einen handelt es sich hier um den Thronfolgestreit, der dem Tod Ludwig II., genannt „der Stammler“ im Jahr 879 folgte. Ludwig II. vererbte, einen bestehenden Vertrag brechend, das gesamte Königreich seinem älteren Sohn und teilte es nicht zu gleichen Teilen zwischen beiden Söhne auf, wie es fränkischem Recht entsprach. Im Ludwigslied wird der Erbschaftsstreit mit der Legitimation durch Gott gelöst. Damit verfolgt das literarische Werk einen Zweck, nämlich Ludwig III. als den einzig rechtmäßigen Herrscher zu deklarieren. Zum zweiten bilden die Einfälle der Normannen den Rahmen des Ludwigslieds. Nach zahlreichen Raubzügen durch insbesondere westfränkische Gebiete gelang es den Franken unter Ludwig, ihnen eine militärische Niederlage zu bereiten. Damit stellt das Ludwigslied nicht nur ein literarisches Werk, sondern auch eine wichtige zeitgeschichtliche Primärquelle dar. Durch die sehr komprimierte Darstellung dieser Ereignisse gibt das Ludwigslied Einblick in das zeitgenössische Gottes-, Herrscher- und Menschenbild des 9. Jahrhunderts.

Editionen

  • Wilhelm Braune: Althochdeutsches Lesebuch. 15. Auflage, Ernst Alfred Ebbinghaus (Hrsg.). Max Niemeyer, Tübingen 1969.
  • Elias von Steinmeyer: Die kleineren Althochdeutschen Sprachdenkmäler. Wiedemannsche Buchhandlung, Berlin 1916.

Literatur

Bei Gallica steht ein vollständiges Digitalisat der Handschrift zur Verfügung.

Anmerkungen

  1. Elias von Steinmeyer: Die kleineren Althochdeutschen Sprachdenkmäler, Berlin 1916, S. 87
  2. Helmut de Boor: Geschichte der Deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart 770 – 1170, München 1979, S. 87; Elias von Steinmeyer: Die kleineren Althochdeutschen Sprachdenkmäler, Berlin 1916, S. 88
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