Lorscher Bienensegen
Der Lorscher Bienensegen gehört zu den ältesten gereimten Dichtungen in deutscher Sprache. Der althochdeutsche Segen wurde im 10. Jahrhundert kopfüber an den unteren Rand einer Seite der apokryphen Visio St. Pauli aus dem frühen 9. Jahrhundert geschrieben. Das Manuskript entstand im mittel- oder oberrheinischen Raum und wurde ab etwa 900 im Kloster Lorsch aufbewahrt; dort dürfte der Eintrag des Bienensegens im 10. Jahrhundert erfolgt sein. Im 16. Jahrhundert gelangte die Handschrift in die Bibliotheca Palatina in Heidelberg. Seit 1623 wird sie in der Biblioteca Apostolica Vaticana unter der Signatur Codex Pal(atinus) lat(inus) 220 aufbewahrt. Der Bienensegen findet sich dort als kopfüber stehender Nachtrag auf der Freifläche unterhalb des Textspiegels auf Fol. 58r.
Der Spruch sollte vermutlich ein schwärmendes Bienenvolk an einen Bienenstock zurückrufen.[1] Englische Linguisten haben Ähnlichkeiten mit dem altenglischen Bienensegen Charm wiþ ymbe festgestellt.[2]
Text
- Kirst, imbi ist hûcze
- Nû fliuc dû, vihu mînaz, hera
- Fridu frôno in munt godes
- gisunt heim zi comonne
- Sizi, sizi, bîna
- Inbôt dir sancte Maria
- Hurolob ni habe dû
- Zi holce ni flûc dû
- Noh dû mir nindrinnês
- Noh dû mir nintuuinnêst
- Sizi vilu stillo
- Uuirki godes uuillon
Übersetzung
- Christ, der Bienenschwarm ist hier draußen!
- Nun fliegt, ihr meine Bienen, kommt.
- Im Frieden des Herren, unter dem Schutz Gottes
- kommt gesund zurück.
- Sitzt, sitzt, Bienen.
- Der Befehl kommt von der Jungfrau Maria.
- Ihr habt keinen Urlaub.
- Fliegt nicht in den Wald.
- Weder sollt ihr von mir entgleiten.
- Oder vor mir flüchten.
- Sitzt im absolut Stillen
- und erfüllt Gottes Willen.
Siehe auch
Literatur
- Franz Pfeiffer: Forschung und Kritik auf dem Gebiete des deutschen Alterthums II. In: Sitzungsberichte der phil.-hist. Classe der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Bd. 52, 1866, S. 3–86, hier S. 3–19 mit einem Faksimile.
- Elias von Steinmeyer: Die kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler. Berlin 1916. S. 396–397.
- Walter Berschin: Die Palatina in der Vaticana. Eine deutsche Bibliothek in Rom. Belser, Stuttgart/Zürich 1992. ISBN 3-7630-2087-X, S. 47.
- Wilhelm Braune: Althochdeutsches Lesebuch. 17. Auflage, Niemeyer, Tübingen 1994. S. 88–89.
- Ralph Dutli: Das Lied vom Honig. Eine Kulturgeschichte der Biene. Wallstein, Göttingen 2012. S. 76–78.
- Meinolf Schumacher: Majas Ahnfrauen? Über Bienen in der mittelalterlichen Literatur. In: Bonsels’ Tierleben. Insekten und Kriechtiere in Kinder- und Jugendmedien, hrsg. von Petra Josting u. Sebastian Schmideler. Schneider, Baltmannsweiler 2015. ISBN 978-3-8340-1518-1, S. 293–308, hier S. 293–297 (Digitalisat).
- Das geistliche Schrifttum von den Anfängen bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts (Deutsches Literatur-Lexikon. Das Mittelalter Bd. 1). De Gruyter, Berlin 2011, ISBN 978-3-598-24991-4, S. 162–165 Google Books
- Karlheinz Platte: Der Lorscher Bienensegen. Ein althochdeutscher Spruch. Hrsg.: Heimat- und Kulturverein Lorsch. Verlag Laurissa, Lorsch 1993, ISBN 3-922781-19-5 (16 S.).
Weblinks
- http://www.galdorcraeft.de/zs_biene_d.htm
- Handschriftencensus, Lorscher Bienensegen
- Zur vollständigen digitalen Ausgabe des Lorscher Bienensegens (Bibliotheca Laureshamensis – digital; Direkter Link zu Fol. 58r)