Kressbronner Kreis
Der Kressbronner Kreis war der Koalitionsausschuss der ersten Großen Koalition in Deutschland und bestand zwischen 1967 und 1969. Er ist benannt nach dem Ort seiner ersten Sitzung, Kressbronn am Bodensee.[1]
Gründung
Die Gründung des Kressbronner Kreises entbehrt nicht einer gewissen Ironie, waren die Regierungsparteien doch mit dem Vorsatz angetreten, als Große Koalition keinen Koalitionsausschuss nach „österreichischem Vorbild“ zu etablieren.[2] Schließlich aber habe sich aus der angestauten Konfliktmasse insbesondere in der Außenpolitik ein zu großer Druck entwickelt,[2] so dass eine Möglichkeit gefunden werden musste, Probleme abzuarbeiten. Das erste Treffen fand so am 4. September 1967 statt.[3] Insgesamt gab es 37 Sitzungen des Kressbronner Kreises.[4] Der Kressbronner Kreis hat dabei sichergestellt, dass sich die beiden Fraktionsvorsitzenden regelmäßig mit den Regierungsmitgliedern austauschen konnten. Regelmäßige Teilnehmer waren so die Parteivorsitzenden, Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU), Bundesaußenminister Willy Brandt (SPD) und Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß (CSU), die Vorsitzenden der Regierungsfraktionen Rainer Barzel, Helmut Schmidt ebenso wie ihre Stellvertreter Richard Stücklen und Alex Möller. Ebenso regelmäßig war Herbert Wehner, als stellvertretender Vorsitzender der SPD und Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen Teil des Kressbronner Kreises.
Themen
Helmut Schmidt hat über den Kressbronner Kreis gesagt, er sei eine Möglichkeit, die Regierung über die Grenzen des „Mittragenwollens und Mittragenkönnens durch die beiden Regierungsfraktionen“ zu informieren.[5] Thema waren so alle großen Sachfragen der Großen Koalition: die Reform des Wahlrechts und die Frage der Verjährung von Mord und Völkermord standen ebenso auf der Tagesordnung wie die Finanzverfassungsreform, der Atomwaffensperrvertrag und die Deutschland- und Ostpolitik.[6] Häufig wurden im Kressbronner Kreis zudem taktische Fragen thematisiert, wie die Koalitionsfraktionen sich im parlamentarischen Prozess verhalten sollen. So z. B. im Rahmen der konfliktreichen Notstandsgesetzgebung.[7] Die Behandlung erfolgte im Regelfall vor einer Befassung im Kabinett.[8]
Die Protokolle des Kressbronner Kreises sind in der Reihe „Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte“ des Archivs für Christlich-Demokratische Politik veröffentlicht.[6]
Bewertung
Insgesamt wird der Kressbronner Kreis im Nachhinein als Erfolgsmodell angesehen; ohne diesen Koalitionsausschuss wären die Errungenschaften der großen Koalition unter Kiesinger nicht zustande gekommen urteilt z. B. der spätere Bundespräsident Karl Carstens[9]. Carstens hatte als Chef des Bundeskanzleramtes ab Januar 1968 die Sitzungen des Kreises regelmäßig protokolliert.[2]
Gleichwohl wurde das Gremium, v. a. wegen fehlender formaler Legitimation, kritisiert. Eine Übersicht findet sich bei Koalitionsausschuss.
Einzelnachweise
- Harald Biskup: Seebad statt Schlammschlacht. In: Frankfurter Rundschau. 13. März 2020, abgerufen am 14. Februar 2021.
- Schönhoven, Klaus: Wendejahre: die Sozialdemokratie in der Zeit der Großen Koalition 1966 - 1969. 1. Auflage. Dietz, Bonn 2004, ISBN 978-3-8012-5021-8, S. 185–186.
- Albert Funk: Auf den Kanzler kam es nicht so an 1966–69: Als die Große Koalition regierte. In: Der Tagesspiegel. 19. September 2005, abgerufen am 14. Februar 2021.
- Miller, Bernhard: Der Koalitionsausschuss: Existenz, Einsatz und Effekte einer informellen Arena des Koalitionsmanagements (= Studien zum Parlamentarismus). 1. Auflage. Nomos, Baden-Baden 2011, ISBN 978-3-8329-6138-1, S. Anhang C.
- Schneider, Andrea: Die Kunst des Kompromisses: Helmut Schmidt und die Große Koalition 1966-1969. 1. Auflage. Schöningh, Paderborn 1999, ISBN 978-3-506-77957-1, S. 77.
- Stefan Marx: Der Kreßbronner Kreis: Die Protokolle des Koalitionsausschusses der ersten Großen Koalition aus CDU, CSU und SPD. 1. Auflage. Droste Verlag, Düsseldorf 2013, ISBN 978-3-7700-1914-4, S. 301.
- Miller, Bernhard: Informelle Einflussnahme? Parlamentarier im Koalitionsausschuss. In: Helmar Schöne; Julia von Blumenthal (Hrsg.): Parlamentarismusforschung in Deutschland. 1. Auflage. Nomos, Baden-Baden 2009, ISBN 978-3-8329-4621-0, S. 129–155.
- Miller, Bernhard: Der Koalitionsausschuss: Existenz, Einsatz und Effekte einer informellen Arena des Koalitionsmanagements (= Studien zum Parlamentarismus). 1. Auflage. Nomos, Baden-Baden 2011, ISBN 978-3-8329-6138-1, S. 140–142.
- Carstens, Karl: Politische Führung. Erfahrungen im Dienst der Bundesregierung. 1. Auflage. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1971, ISBN 978-3-421-01565-5, S. 215.