Kooperative Praxis
Die kooperative Praxis (auch Cooperative Praxis, Kooperatives Anwaltsverfahren, bisweilen Kokon-Verfahren – engl. collaborative law oder collaborative practice, kurz CP) ist ein freiwilliges außergerichtliches Konfliktbearbeitungsverfahren, das überwiegend im Familienrecht angewandt wird und bei dem die Parteien, ihre Anwälte und ggf. weiteren Experten gemeinsam auf eine außergerichtliche Einigung hinarbeiten.
Deutschsprachig wird die kooperative Praxis teils als „Kokon-Verfahren“ (Kooperative Konfliktlösung) bezeichnet.
Das Modell
Teilnehmer
Teilnehmer der kooperativen Praxis sind die Parteien und ihre Anwälte sowie je nach Bedarf und gemeinsamer Übereinkunft weitere Teilnehmer wie zum Beispiel Coaches der Parteien, Kinderexperten (etwa Kinderpsychologen oder Sozialarbeiter) oder Steuerberater. Alle Beteiligten arbeiten gemeinsam darauf hin, dass die Konfliktparteien eigenverantwortlich eine Lösung erarbeiten, wobei die Anwälte und ggf. die Coaches sie parteilich unterstützen.[1]
Je nach Bedarf und Komplexität des Falls kann zusätzlich ein „Case-Manager“ oder „Facilitator“, der üblicherweise als Mediator ausgebildet ist, eingesetzt werden, der das Verfahren organisieren und je nach Absprache auch moderieren soll.[1]
Phasen
Die kooperative Praxis ist analog zur Mediation in fünf Phasen strukturiert:[1][2]
- 1. Arbeitsbündnis,
- 2. Themenbestimmung und Bestandsaufnahme,
- 3. Interessenerforschung,
- 4. Einigung,
- 5. Implementierung.
Disqualifikationsklausel
Kommt es zu einem Gerichtsverfahren, ist die kooperative Praxis beendet. Für diesen Fall wird zuvor vereinbart, dass die Parteien sich vor Gericht nicht von denselben Anwälten vertreten lassen können (Disqualifikationsklausel).[3]
Abgrenzung
Auch die Mediation ist ein freiwilliges außergerichtliches Konfliktbearbeitungsverfahren, bei der die Eigenverantwortlichkeit der Parteien im Vordergrund steht. In der Mediation unterstützt ein allparteilicher Mediator (oder auch ein Team aus zwei Co-Mediatoren) die Parteien bei der eigenverantwortlichen Konfliktlösung. Anwälte und weitere Experten können zu geeignetem Zeitpunkt bei einer sich anbahnenden Einigung oder auch vor Abschluss der Abschlussvereinbarung hinzugezogen werden.
In Abgrenzung zur Mediation wird die Konfliktlösung bei der kooperativen Praxis nicht durch einen allparteilichen Dritten (den Mediator) angeleitet, sondern wird durch die Parteianwälte gesteuert. Bei der kooperativen Praxis sind die Anwälte daran gehindert, ihre Parteien ggf. später vor Gericht - STREITIG - zu vertreten; dies gilt nicht in Ehescheidungsverfahren, wenn sämtliche Folgesachen bereits einverständlich im Rahmen der Cooperativen Praxis geregelt sind. In der Mediation ist eine anschließende anwaltschaftliche Vertretung einer der Parteien durch die gemeinsame Mediatorin ausgeschlossen. ausgeschlossen.
Die Cooperative Praxis ist einerseits komplexer als die Mediation, da wenigstens zwei Anwältinnen oder Anwälte oder Coach beteiligt sind. Es ist beispielsweise dann besonders geeignet, wenn die Parteien den Wunsch verspüren, während des gesamten Verlaufs der Konfliktbearbeitung eine anwaltliche und/oder psychische Begleitung zu haben und auf diese als Fürsprecher zurückgreifen zu können.[1]
Bisweilen wird „kooperative Praxis“ als allgemeiner Überbegriff aufgefasst und auch ein Verfahren der innerbetrieblichen Konfliktbearbeitung, bei dem keine Anwälte erforderlich sind und die Leitung des Verfahrens stattdessen in der Hand zweier Coaches liegt, unter diesen Begriff gefasst.[4]
Kooperative Praxis weltweit
Die Kooperative Praxis wurde in den USA entwickelt. Ihr Anfang wird üblicherweise auf 1990 datiert und auf die Arbeiten des Anwalts Stuart G. Webb (kurz: Stu Webb) zu collaborative law zurückgeführt. Hinzu kamen ab 1992 Arbeiten der Psychologen Peggy Thompson und Rodney Nurse, ab Mitte der 1990er gemeinsam mit der Sozialarbeiterin Nancy Ross, zu einem von ihnen collaborative divorce genannten Ansatz.[1]
In den USA wurde der Uniform Collaborative Law Act 2009 angenommen und 2010 geänderte und in Uniform Collaborative Law Rules and Act umbenannt. Dieses Bundesgesetz wurde bisher in mehreren Bundesstaaten ratifiziert.
Anfang der 2000er Jahre wurde die kooperative Praxis auch in Europa bekannt gemacht: 2003 und 2004 fanden die ersten Konferenzen hierzu in Österreich und der Schweiz statt. Praxisgruppen bestehen auch in weiteren europäischen Staaten.[1]
Einzelnachweise
- Hans-Georg Mähler, Gisela Mähler: Cooperative Praxis – Collaborative practice/collaborative law, Zeitschrift für Konfliktmanagement (ZKM), 3/2009, S. 1–4
- Cooperative Praxis – Collaborative Practice/Collaborative Law: Ein mediationsanaloges Verfahren im Aufschwung. mediationaktuell.de, abgerufen am 18. Oktober 2015.
- Martin Engel: Collaborative Law, Mohr Siebeck, 2010, ISBN 978-3-16-150556-0. S. 173
- M. Klinkhammer, G. Mähler, H.-G. Mähler: Cooperative Praxis – eine neue Form der Konfliktregelung, Wirtschaftspsychologie aktuell 2/2010, S. 17–22.