Kindeswille
Entwicklungspsychologie
Das Dorsch – Lexikon der Psychologie definiert ihn als „die altersgemäß stabile und autonome Ausrichtung des Kindes auf erstrebte, persönlich bedeutsame Zielzustände.“[1]
Damit der Kindeswille aus psychologischer Sicht beachtlich ist, muss er nach Harry Dettenborn auf verständlichen, berechtigten, nachvollziehbaren Beweggründen beruhen und autonom, intensiv, stabil, ernsthaft und zielorientiert sein. Er muss Ausdruck der eigenen Bedürfnisse und nicht nur Reaktion auf die – gegebenenfalls auch nur vermeintlichen – Wünsche eines Elternteils sein. Auch muss das Kind über die Folgen seines Wunsches im Klaren sein. Ein stabiler Wille muss über eine gewisse Zeit, auch unter unterschiedlichen Umständen, beibehalten werden.[2][3][4] Ist der Kindeswille nicht autonom, wird von einem teilweise oder ganz induzierten Kindeswillen gesprochen.
Familiengerichtliche Verfahren in Deutschland
In Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, wird der Kindeswille in einer persönlichen Anhörung des Kindes ermittelt. Mit dieser Regelung wurden die in der UN-Kinderrechtskonvention verankerten Kindesinteressen umgesetzt.[5]
Nach § 159, § 34 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) hat das Gericht Minderjährige ab dem 14. Lebensjahr persönlich anzuhören, denn sie sind gem. § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG verfahrensfähig. Hat das Gericht dem Kind nach § 158 einen Verfahrensbeistand bestellt, soll die persönliche Anhörung in dessen Anwesenheit stattfinden.
Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) kann einer in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung zuwider auf die Anhörung von Kindern, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, grundsätzlich nicht verzichtet werden. Gemäß § 159 Abs. 2 FamFG ist ein solches Kind dann persönlich anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn eine persönliche Anhörung aus sonstigen Gründen angezeigt ist. Die Neigungen, Bindungen und der Kindeswille sind gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls, so dass in allen Verfahren betreffend das Sorgerecht regelmäßig eine Anhörung auch des unter 14 Jahre alten Kindes erforderlich ist.[6] Der vom Kind geäußerte Wille hat bei kleineren Kindern vornehmlich Erkenntniswert hinsichtlich seiner persönlichen Bindungen und ist mit zunehmendem Alter auch als Ausdruck der Entwicklung des Kindes zu einer eigenständigen Persönlichkeit bedeutsam. Der Kindeswille ist aber nur insoweit zu berücksichtigen, als er dem Kindeswohl entspricht.[7]
Einzelnachweise
- Dorsch – Lexikon der Psychologie: Kindeswille.
- Mallory Völker, Monika Clausius: Kindeswille.
- Harry Dettenborn: Kindeswohl und Kindeswille: Psychologische und rechliche Aspekte. Juli 2010, ISBN 978-3497021543
- Harry Dettenborn, Eginhard Walter: Familienrechtspsychologie. Ernst Reinhardt Verlag München, zweite Auflage 2002, ISBN 9783825282325
- Friederike Wapler, Nadja Akarkach, Mariam Zorob: Umsetzung und Anwendung der Kinderrechtskonvention in Deutschland. Rechtsgutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Mainz, 2017, S. 56.
- BGH, Beschluss vom 15. Juni 2016 - XII ZB 419/15
- BGH, Beschluss vom 27. November 2019 - XII ZB 511/18 Rz. 22 ff.