Kalenderstein von Leodagger
Der Kalenderstein von Leodagger ist ein prähistorischer Kultplatz mit Näpfchenstein und Visierspalt zur Beobachtung der Sonnenstände. Er befindet sich in einem Feld in der Weinviertler Ortschaft Leodagger (Gemeinde Pulkau) in Niederösterreich.
Prähistorischer Kultplatz
Der Kultplatz besteht aus einer Felsformation mit einem Rutschstein, mehreren Näpfchensteinen und einem Menhir. Dieser aus flachem Gelände herausragende Felsbrocken war eine bronzezeitliche Kultstätte, wie archäologische Ausgrabungen bewiesen haben. Eine glatte Felswand und ein Menhir bilden einen ca. 50 cm breiten Visierspalt, durch den die Frühlings- und Herbst-Tagundnachtgleiche beobachtet werden kann. Oben auf dem Felsplateau liegt ein außergewöhnlicher Steinblock mit 16 Näpfchen, die bereits in prähistorischer Zeit als Markierung und eventuell auch zur Sonnenbeobachtung gedient haben. Auf einem zweiten Stein sind 6 Näpfchen kreisförmig um ein zentrales Schälchen angeordnet. Sie sehen dem Muster der Plejaden auf der Himmelsscheibe von Nebra verblüffend ähnlich. Daneben ist ein größeres und ein kleineres Schälchen in den Stein gerieben. Man nennt die gesamte Felsformation "Kalenderstein", im 14. Jahrhundert trug sie den Namen „Stein im Aul“ (Aul = keltisch von avos, deutsch Fluss). Vermutlich handelt es sich um eine uralte Quell- und Sonnenkultstätte.
Frühbronzezeitliche Opferstätte
Schwammenhöfer gelang es, den Kalenderstein von Leodagger als eine frühbronzezeitliche Kult- und Opferanlage zu identifizieren. Von besonderer Bedeutung waren die Keramikfunde, die vom Ehepaar Schwammenhöfer und H. Puschnik im Visierspalt beim Ausputzen der Felswanne entdeckt wurden. Bei der Felswanne im Zentrum des Felsplateaus lagen zwei Scherben (Wandfragment und Bruchstück eines Bodensatzes), während im Visierspalt ein größeres Wandstück eines Topfes lag. Alle drei Scherben sind bronzezeitlich und weitgehend mit dem Material vom Sonnwendberg bei Leodagger identisch. Dieser Fund deckt sich mit den Ergebnissen der Felsbildforschung in England, Skandinavien und vor allem in Italien, wo sich für Näpfchensteine der vorliegenden Form eine Datierung in der Bronzezeit ergeben hat (2000 bis ca. 700 v. Chr.)
Mögliche Nutzung als Kalender
Die 16 in einer Linie angeordneten bis etwa fünf Zentimeter großen Näpfchen könnten auf das 16-monatige Sonnenjahr der Steinzeit hindeuten. Diese Vermutung äußert der Naturwissenschaftler Alfred Kappl in seinem Buch Das Geheimnis der Feenhaube (siehe: Naturschutzgebiet Fehhaube-Kogelsteine). Er deutet die Näpfchen des Steins als Markierungen, mit deren Hilfe Sonnenstände und damit der Kalender bestimmt wurden. Mit diesem archaischen Kalendersystem der 16 Schälchen konnten sowohl Feiertage festgelegt, als auch Aussaat- und Erntezeiten in der Landwirtschaft eingeteilt werden. Der Frühlingsbeginn ermahnte zur Bestellung der Felder, der Herbstbeginn war das Signal für die Bevorratung für die kalte Jahreszeit. Die Näpfchen im Muster der Plejaden und die daneben liegenden größeren Schälchen untermauern die Annahme einer astronomischen Nutzung des Kultplatzes.
Die Felsformation dient auch heute noch zur Beobachtung der Tagundnachtgleichen. Die Sonne erscheint dann genau im Visierspalt zwischen dem Menhir und der Felswand, nach heutigem Datum jeweils am 21. März und 21. September. Wer diese beschriebenen Peilungen fotografieren möchte, sollte früh aufstehen und sich zum angegebenen Datum in Verlängerung des Spalts zwischen den Menhir und den Kalenderstein postieren. Auch die jeweiligen Sonnenuntergänge sind eindrucksvoll. Mit einer ewigen Präzision funktioniert der Kalenderstein auch heute noch.
Literatur
- Franz Jantsch: Kultplätze im Land um Wien; Verlag Freya, Unterweitersdorf 1993
- Herbert Puschnik: Urgeschichtswanderweg Eggenburg-Pulkau-Retz-Znaim, Pulkau 1993
- Alfred Kappl: Das Geheimnis der Feenhaube – Die großen Steine von Eggenburg – Österreichs Stonehenge, Sonnweg Verlag, 2001
- Hermann Schwammenhöfer: Archäologischer Lehrpfad (in NÖ), Kurs-Skripte der Volksbildungshäuser
- Herta Puschnik: Studien zu Näpfchensteinen entlang des Ostrandes des Manhartsberges im Vergleich zu weiteren europäischen Beispielen (PDF; 13,6 MB)."