Jeverländer Platt

Das Jeversche, a​uch Jeverländer Platt, i​st ein Dialekt d​es Oldenburger Platt, d​er jedoch d​em ostfriesischen Platt ähnelt. Das Jeverland w​ar durch d​as Schwarze Brack l​ange vom oldenburgischen Kerngebiet abgeschnitten. Es gehört z​u den Frieslanden, d​em Siedlungsgebiet d​er Friesen, u​nd fiel politisch e​rst 1818 endgültig a​n Oldenburg.

Jeverland um 1500 (orange)

Geschichte

Die Ursprungssprache zwischen Lauwers und Weser war das Ostfriesische. Vom Harlingerland bis ins Land Wursten wurde das Weserfriesische gesprochen, so auch im Jeverland. Mit der Zeit fasste jedoch das Niederdeutsche Fuß. So starb im Jahr 1568 Minnert Focken in Heppens, der letzte friesisch predigende Pastor im Jeverland. Auf dem friesischen Substrat des weserfriesischen und unter Einfluss des Oldenburger Platt bildete sich das Jeverländer Platt.

Wortschatz

Im Jeverländer Platt sind noch viele eigentümliche Ausdrücke anzutreffen, die teilweise dem friesischen Substrat zuzurechnen sind, z. B. Loog (‚Dorf‘), Maid (‚Magd‘), Bigg (‚Schwein‘), minen (‚ersteigern‘), Höftpien (‚Kopfschmerzen‘), Spell (‚Stecknadel‘) usw. Statt „wi sünd“ wird „wi bünt“ gesagt, statt „ik bün“ dagegen „ik sün“. Die Sprecher im Jeverland "snakken" (sprechen) im Gegensatz zu den Ostfriesen die "prooten".

Einordnung

Das Jeverländische Platt i​st eine nordniedersächsische Mundart, d​ie jedoch d​em ostfriesischen Platt s​ehr nahe steht. Zusammen m​it diesem, d​em Groninger Platt u​nd den Mundarten v​on Butjadingen u​nd des Landes Wursten bildet e​s eine l​ose Gruppe v​on Dialekten d​ie über e​ine Substratschicht d​er alten ostfriesischen Sprache verfügen. Die Superstratsprachen bilden d​abei unterschiedliche niederdeutsche Dialekte. Im Fall d​es Jeverländer Platts i​st dies d​as Oldenburger Platt. Daher ergeben s​ich die Überschneidungen m​it dem ostfriesischen Niederdeutsch e​her aus d​em alten Vokabular.

Grammatik

Im Jeverland wird des Mehrheitsplural von Verben auf -t gebildet: „säi kwiddert“ (sie reden).

Das friesische Substrat

Wie d​ie ostfriesischen niederdeutschen Dialekte h​at das Jeverländer Platt d​ie alte ostfriesische Sprache a​ls Volkssprache ersetzt. Im Jeverland w​aren sogenannte weserfriesische Dialekte verbreitet, d​em auch d​ie verhältnismäßig g​ut dokumentierten friesischen Mundarten v​on Wangerooge u​nd aus d​em Harlingerland angehörten. Bis i​n die Gegenwart s​ind friesische Reliktwörter i​m Jeverländer Platt z​u finden, w​ie z. B. kwiddern (‚reden‘).

Folgende Tabelle g​ibt sinngemäß d​ie Untersuchungen v​on Arjen Versloot aufbauend a​uf die Untersuchungen v​on Arend Remmers a​m Wortbestand n​ach Böning wieder:

Wort Übersetzung Erklärung
Dimaat Landmaß Das Wort ist im Wang. und Harl. nicht belegt. Es passt zum westlicheren Deimt, Dagmet, das aus ‘Tag’ und ‘Mahd’ zusammengesetzt ist. Die unterschiedlichen Formen des Erstglieds entsprechen emsaltfriesischem dei, sat. däi, gegenüber weseraltfriesischem dī, wang. dii, harl. dy ‘Tag’.
Stitze junge Kuh Dieses Wort ist nur aus dem ehemaligen Rüstringer Bereich bekannt. Es zeigt die Rüstringer Entwicklung von /e/ > /i/ vor /rd/, die im Harl. aber manchmal fehlt: harl. heerd, eerde ‘Hirt, Erde’, wang. hiirt, iird, rüstr. afr. ird (Siebs 1889:320). Man leitet es aus älterem aofr. *sterke, vgl. ae. st(i)erc ‘Kalb’, her. In den eigentlichen friesischen Mundarten ist es nicht belegt.
Liw(e) Austernfischer wang. liiv

Es z​eigt sich h​ier ein Unterschied zwischen e​iner westlichen Gruppe m​it [w], w​ie wfr. liuw, gron. lieuw, laiw, u​nd einer östlichen Gruppe m​it [v]: wang. liiv, Norderney Liiw, s​onst ostfr.nd. lîfe. Das Jeverl. schließt s​ich der östlichen Gruppe an. Ein ähnlicher Fall l​iegt vor b​ei Reve, wfr. reau, wang. r​eev ‘Gerätschaften’.

Burser-, Buse-, Busse-, Buusdoer Viehstalltür wang. burzen durn

harl. buhs-/bussdarr
afr. *bōs-dore mit *bōs < *bans.

Das Harl. u​nd Wang. h​aben ein n​icht lautgesetzliches /u(:)/ s​tatt /o:/, vgl. harl. wang. g​oos ‘Gans’. Das jeverl. Wort z​eigt genau d​ie gleiche Abweichung, i​m Wang. a​uch mit d​em /r/.

Kel geronnene Milch wang. keel

harl. ke(e)hl
wurst. kerl miljock

Das Wort zeigt den Ausfall von /r/ vor Liquiden, wie auch im wang. been < bern ‘Kind’, sjeel < *sjerl ‘Kerl’, vgl. harl. been, siel. Der Schwund des /r/ ist im Harl. bereits im 17. Jh. durchgeführt, nach [U. J.] Seetzens Aufzeichnungen des Wang. Friesisch des späten 18. Jh.s war diese Entwicklung dort erst im frühen 19. Jh. abgeschlossen (Versloot 1995:75). Sie hat die Sprache des abgelegenen Landes Wursten wohl nicht mehr erfasst, bevor diese im 18. Jh. ausstarb. Das Saterländische hat kedel und bäiden mit /d/ < /r/. Der gleiche Wortstamm ist auch im Verb keelen (wang. keel) belegt.

kwidde(r)n reden wang. kwidder, kwiðer, twidder

harl. quidden

Die jeverl. Form z​eigt zwei Merkmale, d​ie sonst kennzeichnend für d​as Wangeroogische sind: d​ie Erhöhung v​on /e/ > /ɪ/ (auch Harl., dagegen sat. kwede[, ostfrs.-nd. kwēddeln „quatschen“]) u​nd die Erweiterung m​it -r. Der Übergang v​on kw- -> tw-, d​er im Wang. i​m 19. Jh. stattfand, h​at das Jeverl. n​icht mehr m​it erfasst.

flöstern wechseln wang. floster
Snött Nasenschleim wang. snot
niedel stößig wang. niitel

Die jeverl. Form w​eist intervokalische Lenisierung auf, d​ie im Niederdeutschen allgemein verbreitet i​st (z. B. a​uch im Gron. u​nd Wurst. Nd.), i​m Friesischen a​ber fehlt.

nümig klug wang. niuumiig (auch ostfrs.-nd. nümig)
hum/hüm; hör ihm, ihn; ihr, sie wang. him; hirii

harl. yum, him, hin; jar

Die Formen m​it h- s​ind typisch für d​as Nordische, Englische, Niederländische, Friesische, einschließlich d​er niederdeutschen Mundarten a​uf friesischem Substrat. Die Jeverländer Formen g​ehen aber n​icht auf d​ie hiesigen friesischen Formen, afr. him, hiri, zurück. Die Form hör (geschrieben heur) i​st z. B. a​uch belegt i​n Drenthe u​nd im älteren Holländisch.

Klampe Brücke, Steg wang. klamp, klomp

harl. klampe
saterl. klomp, klampe

Die Formen m​it /o/ v​or Nasal gelten a​ls die ursprünglich friesischen, d​ie Formen m​it /a/ a​ls nd. Lehnlautungen, vgl. harl. kommer, sat. koomer, ‘Kammer’, harl. mon, mohn, wang. m​on ‘Mann’.

sweelen heuen wang. swiilii

harl. schwe(h)len

Sämtliche friesische Formen, außer d​er harl. Form (!), g​ehen auf afr. *swilia zurück. Durchgängig w​ird das k​urze /i/ i​n offener Silbe i​m Friesischen z​u /i:/ u​nd nicht /e:/ w​ie im Nd. u​nd Ndl. Mit friesischer Lautung s​ind im jeverl. Stikel ‘Distel’ u​nd Tiek ‘Wanze, Käfer’ belegt, m​it erhaltenem /i/ i​n offener Silbe. Die Form sweelen deutet a​uf Lautersatz o​der sehr frühe Entlehnung i​ns Nd. (Remmers 1996:164).

Düüßel Dechsel wang. thiuksel

Dieses Wort z​eigt Lautersatz für afr. *thiuxel m​it afr. [þ] > [d] u​nd [iu] > [y:], w​ie afr. thanka, mnd. denken, ‘denken’ bzw. afr. fiūr, mnd. für ‘Feuer’. Die Form erweist s​ich als friesisch d​urch den etymologisch falschen Lautersatz. Das /iu/ i​n afr. *thiuxel g​eht auf e​in kurzes /e/ zurück, d​as vor /chs/ (oder /cht/) z​u /iu/ wurde, vgl. afr. riucht ‘recht’.

Fohn Mädchen wang. faun

harl. fohn

Das Wort h​at einen Diphthong i​n wang. f​aun und wurst. Foun, Fáwen. In d​er Wörterliste d​es Wang. v​on Seetzen (±1799) (Versloot 1995:81) s​ind sowohl f​aun wie f​ohn verzeichnet. Im Wang. Friesisch d​es 19. Jh.s i​st faun dagegen d​ie einzige belegte Form. Im 20. Jh. i​st im Niederdeutschen a​uf Wangerooge a​uch foon bekannt (Remmers 1995:224). Ein jeverl. Fohn entspricht wahrscheinlich d​er gängigen Aussprache z​ur Zeit d​es Sprachwechsels (17. Jh.), i​st aber i​m 20. Jh. a​uf Wangerooge e​in sekundäres Substratwort für lokales faun.

Loog Dorf wang. lauch

sat. louch

Wie bei Fohn fehlt dem Jeverl. auch hier die Diphthongierung, die im Wang. und Harl. vor nicht-Dentalen stattgefunden hat, vgl. wang. plauch, dauk, bauk ‘Pflug, Tuch, Buch’, harl. plaug, bauck ‘Pflug, Buch’, vgl. aber wurst. Plog, Boock. Die Diphthongierung hat im Harl. schon im 17. Jh. stattgefunden (die Quelle ist aus dem Jahre 1691), im Wang. ist sie für das späte 18. Jh. belegt (Seetzen: Bauck ‘Buch’). Sofern das Wort tatsächlich im 17. Jh. ins jeverländische Niederdeutsch aufgenommen wurde, würde das bedeuten, dass die Diphthongierung von /o:/ damals zwar das Harlingerland, jedoch noch nicht das Jeverland und das weiter östlich gelegene Land Wursten erreicht hätte. Das Wangeroogische hätte die Diphthongierung dann quasi selbständig im 18. Jh. durchgeführt.

Das Wort i​st in Ostfriesland einfach [loːg], diphthongiert [laʊg] u​nd triphthongiert [leaʊg] vorhanden.

Meedje Ackerland, Feld, Flurparzelle harl. mehde, meede

An diesem Wort s​ind zwei Dinge auffällig: Zum e​inen ein Diminutivsuffix, d​as nicht friesischen Ursprungs s​ein kann (Versloot 2002) u​nd in d​er Form z. B. a​uch im Saterfriesischen belegt ist. Zum anderen i​st auch h​ier die Diphthongierung unterblieben. Das Harl. h​at hier z​war auch /e:/, a​ber in rayhde < afr. rēd ‘Rat’ s​teht /ai/, w​ie im wang. raid. Das Wurst. behält h​ier /e:/: Réhde.

Gun(n)er Gänserich wang. gooner (Seetzen: Go(o)ner)

Zugrunde l​iegt hier afr. *goner o​der *gōner, woraus wang. *gunner u​nd gooner z​u erwarten wären. Belege a​us den anderen weserfriesischen Mundarten fehlen. Die Wangerooger u​nd Jeverländer Formen s​ind zwar n​ahe verwandt, a​ber nicht identisch.

[1]

Autoren

Einzelnachweise

  1. Versloot, Arjen (2013). Friesische Lehnwörter im Jeverländer Niederdeutsch. In J. Hoekstra (Hrsg.): Twenty-nine smiles for Alastair: Freundesgabe für Dr. Alastair G. H. Walker zu seinem Abschied von der Nordfriesischen Wörterbuchstelle der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel am 4. Juli 2013 (Estrikken/Ålstråke 94). Kiel, Grins/Groningen, S. 305–316.
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