Jean-Jacques Sempé
Jean-Jacques Sempé (* 17. August 1932 in Bordeaux) ist ein französischer Zeichner und Karikaturist, bekannt als Sempé.
Leben
Sein Zeichentalent war bereits zu seinen Schulzeiten zu erkennen. Als Achtzehnjähriger meldete Sempé sich freiwillig zum Militärdienst, den er in der Nähe von Paris absolvierte. Der Grund hierfür war, dass er mit seinen Zeichnungen seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten konnte. Seit 1957 veröffentlicht er regelmäßig Zeichnungen in französischen Printmedien wie Paris Match, L’Express, Pilote sowie in ausländischen wie Punch oder der New York Times. Mehrere Titelblätter des New Yorker (seit 1978) stammen aus seiner Hand. Seit 1960 erscheint nahezu jedes Jahr im Verlag Denoël eine Sammlung seiner Zeichnungen.
Bekannt ist beispielsweise die Kinderbuchserie Der kleine Nick, die in Zusammenarbeit mit dem Asterix-Autor René Goscinny entstand. 1988 illustrierte er das Kinderbuch Catherine Certitude (deutsch: Catherine, die kleine Tänzerin) des französischen Literaturnobelpreisträgers Patrick Modiano. 2008 wurde Sempé mit dem e.o.plauen Preis ausgezeichnet.
Sempé ist mit dem deutschen Schriftsteller Patrick Süskind befreundet. Für dessen Novelle Die Geschichte von Herrn Sommer aus dem Jahr 1991 verfasste er die Zeichnungen. Im Gegenzug übersetzte Süskind einige Werke Sempés ins Deutsche.[1]
Stil und Arbeitsweise
Goscinny, Modiano und Süskind sind die einzigen drei Autoren, deren Texte Sempé illustriert hat. Die Zusammenarbeit beschrieb er als eine Form von Symbiose: seine Zeichnungen entstanden nicht nach einem fertigen Text; vielmehr beeinflussten sich Zeichner und Autor gegenseitig. Gewöhnlich arbeitet Sempé allerdings alleine und entwirft mit seinen Bildern eigene Geschichten. Die Spannbreite seiner Zeichnungen reicht von Einzelzeichnungen bis kleinen Bildergeschichten. Teilweise sind die Zeichnungen auch mit Text oder Sprechtext versehen, wobei die Spannung aus dem Gegensatz zwischen Text und Bild entsteht. In seinen Arbeitsmaterialien ist Sempé konservativ. Er verwendet großformatiges Papier, Tusche sowie seit Jahren dieselbe nicht mehr produzierte Feder „Atome 423“, von der er nur noch wenige Restbestände besitzt.[2]
Laut John Lichfield ist Sempé ein Meister der Panorama-Zeichnung. Typisch ist sein hoher oder entfernter Standpunkt, von dem aus er winzige menschliche Figuren in einer Landschaft oder einer aufwendigen Stadtansicht zeichnet. Im Gegensatz zu vielen anderen Karikaturisten, die ihre Zeichnungen auf die zentrale Aussage fokussieren, bettet Sempé seine Figuren in eine detaillierte Umgebung ein, die die Pointe verstärkt oder auch von ihr ablenkt.[3] Obwohl Sempé auch andere Städte gezeichnet hat wie Saint-Tropez und New York, ist er für Andreas Platthaus doch der typische Zeichner von Paris in derselben Weise wie Eugène Atget der Fotograf der französischen Metropole war. Dabei zeichnet Sempé niemals tatsächlich die Realität ab. Vielmehr entwirft er aus architektonischen Details, die allesamt seiner Phantasie entspringen, ein idealtypisches Bild von Paris.[4] Laut Charles McGrath ist es ein Paris, von dem selbst die Pariser nur mehr träumen mit Dachmansarden, hohen Fenstern und schmiedeeisernen Balkonen, in dem alle Automobile noch wirken wie aus den 1950er Jahren.[5]
Sempés Helden nennt McGrath „gallische Jedermänner“: klein mit großer Nase, korpulent, zur Glatze neigend, an der Seite wohlfrisierter Frauen mit gepunkteten Kleidern und Doppelkinn. Sie spiegeln den Kampf zwischen den Geschlechtern wider, die tägliche Notwendigkeit, den Schein zu wahren, den endlosen Kreislauf von kleinen Siegen und Niederlagen.[5] Für Patrick Süskind sind es oft kleine Details, die Sempés Zeichnungen aus der Normalität kippen lassen und ihnen dadurch Komik, Witz und Charme verleihen. Doch seine Zeichnungen atmeten nicht bloße Heiterkeit, im Hintergrund sei immer eine tiefe Melancholie spürbar, eine hintergründige Angst und Trauer über die menschliche Einsamkeit und die Brüchigkeit des Lebens.[6] Als Sempés Thema benennt Imre Grimm die „Idylle im Monströsen“. Seine zerbrechlichen Helden sind in der Welt permanent überfordert. Sempé äußerte einst in einem Interview: „Mensch zu sein erfordert enorm viel Tapferkeit“. Der Antrieb seines Zeichnens sei, „weil ich mich nicht verstehe und weil ich die Welt nicht verstehe“.[7] Über die Menschen lerne er am meisten, indem er sie beobachte.[8]
Deutsche Bibliographie (unvollständig)
- Volltreffer, Diogenes, 1959.
- Wie sag ich's meinen Kindern?, Diogenes, 1960.
- Emil, ich hab Schiss!, Diogenes, 1960.
- Die manipulierte Gesellschaft, Bärmeier & Nikel, 1970.
- St-Tropez, Diogenes, 1970.
- Carlino Caramel, Diogenes, 1971.
- Umso Schlimmer, Diogenes, 1971.
- Von den Höhen und Tiefen, Diogenes, 1972.
- Sempés Konsumgesellschaft, Diogenes, 1973.
- Alles wird komplizierter, Diogenes, 1974.
- Der kleine Nick und seine Bande, Diogenes, 1974
- Wie verführe ich die Frauen?, Diogenes, 1974.
- Wie verführe ich die Männer?, Diogenes, 1974.
- Gute Fahrt!, Diogenes, 1975.
- Der kleine Nick und die Schule, Diogenes, 1975
- Der Lebenskünstler, Diogenes, 1975.
- Bonjour Bonsoir, Diogenes, 1976.
- Der kleine Nick und die Mädchen, Diogenes, 1976
- Der kleine Nick und die Ferien, Diogenes, 1976
- Kleine Abweichung, Diogenes, 1978.
- Der gesellschaftliche Aufstieg des Monsieur Lambert, Diogenes, 1979.
- Sempé's Musiker, Diogenes, 1980.
- Nichts ist einfach, Diogenes, 1982.
- So ein Zufall, Diogenes, 1982.
- Der Morgenmensch, Diogenes, 1984.
- Sempés Radfahrer, Diogenes, 1985.
- Halb gewonnen, Diogenes, 1986.
- Sempés Konsumenten, Diogenes, 1986.
- Fenster, Diogenes, 1988.
- Stille, Sinnenlust und Pracht, Diogenes, 1988.
- Sempés Beziehungskisten, Diogenes, 1988.
- Sempés Katzen, Diogenes, 1989.
- Das Geheimnis des Fahrradhändlers, Diogenes, 1996.
- Sempés Paris, Diogenes, 2002.
- Neues vom kleinen Nick, Diogenes, 2005.
- Der kleine Nick ist wieder da, Diogenes, 2006.
- Der kleine Nick erlebt eine Überraschung, Diogenes, 2008.
- Sempé Frankreich, Diogenes, 2006.
- Mit vorzüglicher Hochachtung, Diogenes, 2008.
- Sempé in New York, Diogenes, 2009.
- Kindheiten, Diogenes, 2012.
- Sturmböen und Windstille, Diogenes, 2014, ISBN 3257021259.
Ausstellungen
- Sieben phantastische Humoristen: Paul Flora, Edward Gorey, Luis Murschetz, J. J. Sempé, Roland Topor, Tomi Ungerer, Reiner Zimnik, Ausstellungskatalog: 5. Oktober – 18. November 1972. Galerie Daniel Keel, Zürich 1972, OCLC 758385075.
- Tag für Tag - Sempé in deutschen Sammlungen, 10. Juli bis 8. August 2009, Bayerische Staatsbibliothek München
- Ein bisschen Paris und anderswo - Jean-Jacques Sempé zum 80. Geburtstag, 10. Juni bis 23. September 2012, Wilhelm Busch - Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst, Hannover
Weblinks
Einzelnachweise
- María Cecilia Barbetta: Poetik des Neo-Phantastischen. Patrick Süskinds Roman „Das Parfum“. Königshausen & Neumann, Würzburg 2002, ISBN 3-8260-2221-1, S. 100.
- Marc Zitzmann: Allzumenschliche Strichmännchen. In: Neue Zürcher Zeitung vom 14. November 2009.
- John Lichfield: Jean-Jacques Sempé: Luck of the draw. In: The Independent vom 21. Oktober 2006.
- Andreas Platthaus: Ich zeichne die ganze Zeit. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. Oktober 2011.
- Charles McGrath: Jean-Jacques Sempé’s Tales of Two Cities. In: The New York Times vom 8. November 2006.
- Patrick Süskind: Das Geheimnis der Porreestange. In: Süddeutsche Zeitung vom 17. Mai 2010.
- Imre Grimm: Sempé-Ausstellung im Wilhelm-Busch-Museum. In: Hannoversche Allgemeine vom 8. Juni 2012.
- Michaela Haas: „Ich war in Gedanken immer woanders“. In: Süddeutsche Zeitung Magazin 27/2009.