Intra-Aktion
Intra-Aktion (oder intra-action) ist ein Neologismus von Karen Barad, der sich derzeit im Kontext der philosophischen Strömung der 'New Materialisms' oder Neue Materialismen etabliert und auch in der feministischen Debatte rapide an Relevanz gewinnt. Barad entwickelt diesen Neologismus in Abgrenzung zum Begriff Interaktion. Während jener die miteinander in Beziehung stehenden Akteure fokussiert (z. B. bei Bruno Latours Akteur-Netzwerk-Theorie oder Donna Haraways Konzept des Situierten Wissens) und eine Existenz von unabhängigen Entitäten voraussetzt, stellt der Begriff der Intra-Aktion eine konzeptuelle Verschiebung dar, die das Verhältnis zwischen zwei (menschlichen oder nichtmenschlichen) Akteuren in den Blick nimmt.
Intra-Aktion kann beschrieben werden als die sich wechselseitig beeinflussende Beschaffenheit von verflochtenen Handlungsfähigkeiten oder Wirkmächten (agency) von Materie. Die Materie materialisiert sich erst durch die Intra-Aktion, wobei die Fähigkeit dieser Materie zur Handlungen unabhängig von einer anderen Entität ist[1]. Ein Beispiel: Ein Baum intra-agiert mit der Materie um ihn herum (ohne, dass Menschen involviert sein müssen), die ihn umgebende Materie (die Erde, die Luft) werden durch Vorgänge im Baum beeinflusst (Verarbeitung von Kohlendioxid, Aufnahme von Nährstoffen und Wasser aus dem Boden) ebenso, wie die Erde und die Luft den Baum beeinflussen, je nachdem, welche Stoffe sie in sich tragen (schnell oder langsam wachsen, sich fortpflanzen können; vergiften, erkranken). Mit dem Begriff der Intra-Aktion ist des möglich derartige Verhältnisse zwischen Dingen (und Menschen) genauer zu fassen – was etwa für Umweltwissenschaftliche Forschungen, die sich mit Klimawandel oder Naturphänomenen (und deren Auswirkungen auf das menschliche [Weiter]Leben) beschäftigen. Insbesondere hier ist Barads Ansatz zusammen mit anderen neomaterialistischen Einsätzen von großer Bedeutung. Gerade die Tatsache, dass Intra-Aktionen keine menschliche Anwesenheit erfordern, ist hier von Bedeutung: "Intra-action are specific causal material enactments that may or may not involve 'humans'."[2]
Sigrid Schmitz erklärt, dass es im baradschen Sinne „kein abgrenzbaren ontologischen Entitäten mit inhärenten Eigenschaften [gibt]. Stattdessen materialisieren sich Phänomene erst durch dynamische Intra-Aktionen, in denen Diskurse und bedeutungsgenerierende Tätigkeiten, technische Apparaturen, Subjekte und materielle Komponenten beteiligt und verwoben sind.“[3]
Im Gegensatz zu Interaktion sind die an einer Handlung beteiligten Agentien vor ihrem Aktivwerden innerhalb des Phänomens noch gar nicht als unabhängige, klar voneinander abgegrenzte Einheiten unterscheidbar. Stattdessen konstituierten sie sich erst im Rahmen der Intraaktion gegenseitig. Erst dort stelle sich heraus, wo die Grenzen zwischen ihnen verlaufen.[4] Oder um es mit Barad zu sagen: Die Relata sind gleichursprünglich mit ihrer Relation, sie werden 'in einem Zuge' durch die Intra-Aktion konstituiert.
Literatur
- Karen Barad: Posthumanist Performativity: Toward an Understanding of How Matter comes to Matter. In: Corinna Bath, Yvonne Bauer, Bettina Bock von Wülfingen (Hg.): Materialität denken. Studien zur technologischen Verkörperung – Hybride Artefakte, posthumane Körper. transcript, Bielefeld 2005, S. 187–216.
- Sigrid Schmitz: Karen Barad: Agentieller Realismus als Rahmenwerk für die Science & Technology Studies. In: Diana Lengersdorf, Matthias Wieser (Hg.): Schlüsselwerke der Science & Technology Studies. Springer VS, Wiesbaden 2014, S. 279–291.
- Pia Garske: What’s the „matter“? Der Materialitätsbegriff des „New Materialism“ und dessen Konsequenzen für feministisch-politische Handlungsfähigkeit, in: PROKLA 174, Jg. 44/Nr. 1, 2014, S. 111–129.
Einzelnachweise
- Karen Barad: Posthumanist Performativity. Toward an Understanding of How Matter comes to Matter. In: Corinna Bath, Yvonne Bauer, Bettina Bock von Wülfingen (Hg.): Materialität denken. Studien zur technologischen Verkörperung – Hybride Artefakte, posthumane Körper. transcript, Bielefeld 2005, S. 200.
- Karen Barad: Posthumanist Performativity. Toward an Understanding of How Matter comes to Matter. In: Corinna Bath, Yvonne Bauer, Bettina Bock von Wülfingen (Hg.): Materialität denken. Studien zur technologischen Verkörperung – Hybride Artefakte, posthumane Körper. transcript, Bielefeld 2005, S. 202.
- Sigrid Schmitz: Karen Barad: Agentieller Realismus als Rahmenwerk für die Science & Technology Studies. In: Diana Lengersdorf, Matthias Wieser (Hg.): Schlüsselwerke der Science & Technology Studies. Springer VS, Wiesbaden 2014, S. 284.
- Pia Garske: What’s the „matter“? Der Materialitätsbegriff des „New Materialism“ und dessen Konsequenzen für feministisch-politische Handlungsfähigkeit, 2014, S. 115.