Intergruppenkonflikt
Intergruppenkonflikt (von lat. inter „ zwischen“ und confligere „kämpfen“) ist die Bezeichnung für einen Konflikt, der zwischen verschiedenen sozialen Gruppen auftritt.
Konfliktarten
In der Konfliktforschung werden mehrere Arten unterschieden:
- Verteilungskonflikt: Die Ziele der Parteien sind gleich, aber stehen sich unvereinbar gegenüber
- Zielkonflikt: Aufgrund unterschiedlicher Bewertung resultieren unterschiedliche Ziele
- Beurteilungskonflikt: Die Wege zur Zielerreichung unterscheiden sich
- Rollenkonflikt: Widersprüchlich empfundene Rollen
- Machtkonflikt: Als ungleich empfundene Machtverteilung
- Informationskonflikt: Unterschiedliche Information
- Wertkonflikt: Unterschiedliche Wertvorstellung und Werthaltung
Die Intergruppenkonflikte können unterschiedliche Ursachen haben:
- Ressourcenknappheit – Finanzen, Informationen
- Ungleichgewicht der gegenseitigen Abhängigkeit – eine Gruppe ist zu sehr von der anderen Gruppe abhängig
- Hohe Dominanz einer Gruppe – Vorgesetzte/Untergebene
- Konkurrierende Ziele, Interessen – Management/Betriebsrat
- Unterschiede in der Wahrnehmung
- Benachbarte Gruppen arbeiten nach unterschiedlichen Regeln – andere Arbeitszeit, Qualitätskontrolle
- Kompetenzüberschneidungen – Matrixorganisationen
- Reorganisationsmaßnahmen – Fusion, Personalabbau
Faktoren
Vorurteile als Persönlichkeitsmerkmal
Vorurteile sind in der Regel negative Einstellungen gegenüber allen oder den meisten Mitgliedern einer anderen Gruppe. Eine mögliche Folge könnte die Feindseligkeit gegenüber anderen Gruppen sein.
Sündenbocktheorie
Carl I. Hovland und Sears beobachteten den starken Zusammenhang zwischen der Verschlechterung der Wirtschaftslage und den Fällen von Lynchjustiz. Aufgrund dieser Beobachtung entwickelten sie die Frustrations-Aggressions-Hypothese. Diese besagt, dass die Aggressionen sich meist nicht gegen den wirklichen Ausgangspunkt richten, sondern auf leicht zugängliche Ziele umgelenkt werden. Das können oft Mitglieder einer anderen Gruppe sein. Dies kann wiederum zu Intergruppenkonflikten führen. Dieser Zusammenhang konnte nie empirisch nachgewiesen werden. Außerdem muss die Frustration nicht zwingend zum Ausbruch der Aggression führen. Auch die Annahme, dass das Intergruppenverhalten hauptsächlich durch Emotionen bestimmt wird, ist nicht plausibel.
Zielkonflikte
Geht ein Ziel zu Lasten einer anderen Person oder Gruppe, so wird die Gruppe auch allein dieses Ziel, unabhängig von der anderen Gruppe, versuchen durchzusetzen. Als Beispiel können die Verhandlungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern genommen werden, wenn es darum geht, das Gehalt oder den Lohn zu erhöhen.
Theorie von Serif (1966)
Muzaffer Şerif (1966), ein Sozialpsychologe, hat eine Theorie für das Intergruppenverhalten aufgestellt. Sie besagt, dass Intergruppeneinstellungen und -verhalten von Gruppenmitgliedern ein objektives Interesse einer Gruppe gegenüber der anderen Gruppe widerspiegeln. Entsteht durch das objektive Interesse ein Konflikt und kreuzen sich dadurch Interessen, kommt es zu einem Wettbewerb, der von Vorurteilen bis hin zu feindseligem Verhalten führt. Die Eigengruppe jedoch wird immer als dominierend und besser im Vergleich zu der anderen Gruppe angesehen.
Theorie der sozialen Identität von Tajfel und Turner (1986)
Aufbauend auf der Theorie von Sherif entwickelten Henri Tajfel und John. C. Turner die Theorie der sozialen Identität, die ebenfalls das Entstehen von Intergruppenkonflikten beleuchtet. Grundlage dieser Theorie ist die Annahme, dass Individuen nach einer positiven sozialen Identität streben. Das heißt, dass die Gruppe, zu der sie sich zugehörig fühlen oder der sie zugeschrieben werden im Vergleich mit relevanten Fremdgruppen ein möglichst hohes Prestige haben soll. Das soziale Zugehörigkeitsgefühl wird manifestiert durch die Aufwertung und Bevorzugung der Eigengruppe und durch die bewusste Abgrenzung zu Eigenschaften der Fremdgruppe und Benachteiligung ihrer Angehörigen. Konflikte zwischen den Gruppen entstehen vor allem, wenn bestimmte Ressourcen (Macht, Wohlstand, Ansehen) umstritten sind.[1]
Verzerrte Wahrnehmung
Die (Selbst-)Wahrnehmung einer Gruppe unterliegt verschiedenen Einflüssen, denen sich ein jeder nur schwer widersetzen kann. Insbesondere in Intergruppenkonflikten, also in bereits bestehenden Konfliktsituationen, kommt es zu einer verzerrten Wahrnehmung. Hier lassen sich nach Forsyth verschiedene Kernvorurteile festmachen:[2]
- Ingroup-Heterogenität – Die Selbstwahrnehmung findet als Individuen statt. Die ganze Gruppe erscheint diversifiziert und komplex.
- Outgroup-Homogenität – Die rivalisierende bzw. konkurrierende Gruppe erscheint aus der subjektiven Konkurrenzgruppensicht homogen – z. B. im Verhalten und Auftreten.
- Linguistik – Das Verhalten der konkurrierenden Gruppe wird anders kommuniziert, als das eigene. Gleiche Handlungen können in diesem Fall z. B. negativer dargestellt werden.
- Law of smaller numbers – Das Verhalten und bestimmte Eigenschaften einzelner Mitglieder werden auf die ganze Gruppe übertragen.
- Bild der Vorurteile – Vorurteile und falsche Rückschlüsse tragen zu einem falschen Bild der Outgroup bei.
- Gruppenmeinung – Die Meinung der Gruppe wird auf die einzelnen Mitglieder übertragen, unabhängig davon, wie sie zustande gekommen sind. Werden diese Vorurteile angesprochen und Gegenstand der professionellen Konfliktreduktion, lassen sich Konflikte einfacher verstehen und Auslöser aber auch Verstärker festmachen.
Konfliktmanagement
Kontakthypothese (nach Gordon Allport)
Definition: Abbau von Vorurteilen und Feindseligkeiten zwischen Gruppen durch Kontakt der unterschiedlichen Gruppenmitglieder. Das beinhaltet außerdem, dass Kontakt nur mit der Verbindung von Kooperation zum Ziel führt. Es wurden bisher besonders gute Beobachtungen der Konfliktreduktion gemacht, wenn es positivere Intergruppeneinstellungen gibt und der Kontakt mit typischen Fremdgruppenmitgliedern zustande kommt.[3] Zudem haben Wissenschaftler herausgefunden, dass die Kontakthypothese zu positiveren Intergruppeneinstellungen führt, wenn der Kontakt zwischen Mitgliedern verschiedener Gruppen zustande kommt, die als typisch für ihre Gruppe angesehen werden. Allerdings macht R. Brown darauf aufmerksam, dass der Kontakt zwischen Gruppen alleine nicht zum Ziel führt, sondern, dass eine gewisse Kooperationsbereitschaft im Hinblick auf gemeinsame Ziele wichtig sei.[4]
Die Kritik der Kontakthypothese folgt aus demselben Argument des Grundgedankens der Hypothese: Wenn Intergruppenkontakte einen Einstellungswandel erlauben, dann lassen sich im Prinzip sowohl positive als auch negative Einstellungen generalisieren, was bedeutet, dass durch Kontakt auch die Situation verschlechtert werden könnte, wenn die kooperative Begegnung fehlschlägt.
Erweiterter Kontakteffekt
Eine neue Weiterentwicklung der Kontakthypothese mit dem Namen „Erweiterte Kontakteffekt“ sagt aus, dass, wenn einem Gruppenmitglied bekannt ist, dass die übrigen Gruppenmitglieder eine Freundschaft zu den Fremdgruppenmitgliedern pflegen, das dazu beitragen kann, dass Vorurteile gegenüber der Fremdgruppe abgebaut werden. Eine Erklärung für dieses Verhalten liegt darin, dass die eigenen Gruppenmitglieder als Vorbilder angesehen werden und normative Informationen darüber liefern, wie sie sich verhalten sollten. Beispiele für die Kontakthypothese:
- Runder Tisch
- Workshops
- Integrativer Unterricht
- soziale Wohnprojekte
Die Kontakthypothese ist unter geeigneten Bedingungen erfolgreich. Dabei wird zwischen 5 Kriterien unterschieden. Zum einen ist es sinnvoll, dass Mitglieder der verschiedenen Gruppen Kooperation zulassen und bereit sind gemeinsam an einem Ziel kooperativ zu arbeiten. Des Weiteren wird als grundlegend angesehen, dass die Individuen einem gleichen Status angehören und aus diesem Grunde ca. gleichermaßen befugt und gleichberechtigt sind, um auf diese Art und Weise Konflikte gemeinsam abzubauen. Zudem sollte die Situation des Kontakts so ausgelegt sein, dass nicht nur oberflächliche Kontakte gefördert werden, sondern diese tiefgründig angelegt sind. Insgesamt sollte in der Situation eine freundliche und hilfsbereite Stimmung herrschen. Dazu kommt außerdem, dass Konflikte am besten durch Kontakte beglichen werden können, wenn der Kontakt bzw. die gemeinsame Aktivität zu einem Erfolg führt.
Konfliktreduktion durch übergeordnete Ziele
Eine Strategie zur Konfliktreduktion ist es, eine Situation zu schaffen, in der die miteinander in Konflikt stehenden Gruppen kooperieren müssen, indem sie sich beide für ein gemeinsames Oberziel einsetzen. Studien haben gezeigt, dass bis dahin feindselige Beziehungen so verändert werden können, dass sie sich weiter annähern und tolerieren.
Es stellte sich jedoch auch heraus, dass es zu einem Rückgang der Zuneigung kommen kann, wenn das gemeinsame Ziel verfehlt wird und vorher eine wettbewerbsorientierte Phase vorausgegangen war.
Konfliktreduktion durch Revision der Kategoriengrenzen
Die soziale Kategorisierung trägt mit dazu bei, dass diskriminierendes Verhalten und Urteile ausgelöst werden. Auf Grundlage dessen sollen Konflikte reduziert werden, indem sich Mitglieder verschiedener Gruppen dahingehend umdefinieren, dass sie einer einzigen, übergeordneten Kategorie angehören und so die vorherigen Fremdgruppenmitglieder als Mitglieder der eigenen Gruppe betrachtet werden. Dabei zeigten sich, dass die Beurteilung einer einzigen Gruppe besser war als die Beurteilung der vorherigen Fremdgruppe. Eine weitere Möglichkeit, Konflikte in diesem Konflikt zu reduzieren, ist, soziale Kategorien so zu arrangieren, dass sie sich überschneiden. Die Grundregel der Kategorisierung besagt, dass die Diskriminierung in solchen überkreuzten Situationen gegenüber den ursprünglichen Kategorien abnimmt.
Es können sich so neue Gruppen bilden, und diese können zu Konflikten führen.
Literatur
- Erika Regnet: Konflikte in Organisationen. Formen, Funktion und Bewältigung. Göttingen/ Stuttgart 1992.
- Muzafer Sherif, B. White, H. O. J. Jack: Status in experimentally produced groups. In: American Journal of Sociology. 60, 1955, S. 370–379.
- Charles Stangor: Social Groups in Action and Interaction. Chapter 13: Cooperation and Conflict Between Groups. 2004, S. 311–334.
- Wolfgang H. Staehle: Management. 8. Auflage. München 1999.
- Henri Tajfel, John Turner: The Social Identity Theory of Intergroup Behavior. In: Stephen Worchel, William Austin: Psychology of Intergroup Relations. Nelson Hall Publishers, Chicago, 1986, S. 7–24.
- Heinrich Wottawa, Iris Gluminski: Psychologische Theorien für Unternehmen. Göttingen 1995.
Einzelnachweise
- Henri Tajfel, John C. Turner: The Social Identity Theory of Intergroup Behavior. In: Stephen Worchel, William Austin (Hrsg.): Psychology of Intergroup Relations. Nelson-Hall, Chicago 1986, S. 7–24.
- Intergroup Relations. In: Donelson R. Forsyth: Group Dynamics. Brooks/ Cole, Belmont 1999, S. 375–408, Kapitel 13.
- Gordon Allport: The Nature of Prejudice. 1971 (Originaltitel: The Nature of Prejudice. 1954.).
- R. Brown: Beziehungen zwischen Gruppen. In: W. Stroebe, K. Jonas, M. Hewstone (Hrsg.): Sozialpsychologie. 4. Auflage. Springer, Berlin 2002, ISBN 3-540-42063-0, S. 537–576.