Herdbuch
Das Zuchtbuch (auch Herdbuch oder Zuchtstammbuch) ist eine von einem Zuchtverband geführte geordnete Zusammenstellung beglaubigter Abstammungsnachweise von Zuchttieren, Haustierrassen, Tierfamilien oder Tierstämmen.
Die Tierzucht hat ein großes Interesse, die Abstammung der Zuchttiere zu kennen, weil deren Nachkommenschaft die verlangten Eigenschaften umso sicherer besitzen wird, je reiner Eltern und Voreltern des betreffenden Tiers in der bestimmten Rasse fortgezüchtet sind, und je ausgeprägter diese die schätzbaren Rasseeigentümlichkeiten besaßen. Durch Inzucht und Linienzucht nehmen jedoch auch rassetypische genetische Krankheiten zu;[1] zum Beispiel hat die Hüftdysplasie des Hundes je nach Hunderasse eine Häufigkeit (Prävalenz) bis über 50 Prozent (siehe auch Qualzucht).[2]
Geschichte
Die ersten bekannten Zuchtbücher stammen aus dem 2. Jahrtausend v. Chr., so existieren beispielsweise Zuchtbücher in hethitischer Sprache aus dem 14. Jahrhundert v. Chr. In England legte man schon 1793 mit dem General stud book das erste moderne Zuchtbuch an, welches bis zur Gegenwart fortgeführt worden ist und die Abstammungsnachweise der englischen Vollblutpferde enthält. Das erste deutsche Zuchtbuch der Pferdezucht war das Norddeutsche Gestütbuch von 1842.
1868 gründete sich im Königreich Sachsen der Verein zur Verbesserung des Rindviehs Oldenburger Rasse, der das erste bekannte Zuchtbuch das Herdbuch zur Reinzucht der Oldenburger Milchrasse im Königreich Sachsen anlegte.[3]
Ausgehend von der englischen Pferdezucht entwickelten sich im 19. Jahrhundert zahlreiche Zuchtvereine von Haustierrassen, die Herd- oder Stammbücher anlegten. Das erste Zuchtbuch für Wildtiere war das Zuchtbuch für Wisente, das von der 1923 gegründeten Internationalen Gesellschaft für die Erhaltung des Wisents geführt wurde und auf die jahrelange Arbeit von Kurt Priemel, dem damaligen Direktor des Frankfurter Zoos, und Ludwig Zukowsky, dem wissenschaftlichen Mitarbeiter der Tierhandlung Carl Hagenbeck, zurückgreifen konnte. Nach 1945 wurde die Führung des Zuchtbuches dem Warschauer Zoo übertragen. Das zweite Zuchtbuch für Wildtiere war das Zuchtbuch für Przewalskipferde, die einzige Unterart des Wildpferdes, die bis heute in reiner Form überlebt hat. Es wurde zunächst von Erna Mohr geführt und 1959 anlässlich des 1. Internationalen Symposiums zur Erhaltung des Wildpferdes dem Prager Zoo übergeben, wo es noch heute geführt wird.
In den folgenden Jahren wurde von verschiedenen Zoos weltweit die Führung von Zuchtbüchern bedrohter Tierarten übernommen. So führt beispielsweise der Tierpark Berlin die Zuchtbücher für Afrikanische Wildesel, Halbesel, Vietnam-Sikahirsche und Mesopotamische Damhirsche, der Zoo Leipzig die Zuchtbücher für Sibirische Tiger, Anoas und Mähnenwölfe, der Zoo Korkeasaari (Helsinki) das Zuchtbuch für Schneeleoparden und der Zoo Rostock das Zuchtbuch für Eisbären.
Rinderzucht
Ab 1860 gründeten sich in verschiedenen deutschen Ländern und auch in Holland und den USA Zuchtorganisationen und -vereine zur Verbesserung der Leistungen der Milchrinder. Die ersten Zuchtverbände hatten innerhalb ihres Verbreitungsgebiets ein geschlossenes Herdbuch. Tiere aus anderen Zuchtgebieten wurden nicht in das Herddbuch aufgenommen. Neben der Milchleistungsprüfung waren von Anfang an Tierschauen wichtig für die weitere Zuchtarbeit. In diesen wurde anfangs auf einen einheitlichen Phänotyp gezüchtet.[3]
Ab den 1960er Jahren wurden die Herdbücher der Zuchtverbände für Milchleistungstiere geöffnet. Insbesondere die deutsche Schwarzbuntzucht war dabei Vorreiter, indem aus den USA importierte männliche und weibliche Holstein-Friesian zum Einsatz kamen. Bekanntester Vererber, der sich über die Künstliche Besamung stark verbreitete, war der Bulle Pabst Ideal. Später folgten auch fast alle anderen Milchrassen.[3]
In Herdbüchern für Fleischrinder geht ein Zuchtwert für die Fleischnutzung ein. Bei den Rassen Angus und Wagyu gibt es ein geschlossenes Herdbuch, in das nur Tiere mit einer lückenlosen reinrassigen Abstammung aufgenommen werden.[4]
Bis in die 1980er Jahre unterlag die Nutztierzucht staatlichen Kontrollen, wo für die Umsetzung der entsprechenden Gesetze und Verordnungen spezielle „Tierzuchtämter“ eingerichtet waren. Diese wurden erst Fachabteilung der Landwirtschaftsämter, bevor sie Ende der 1980er Jahre ganz aufgelöst wurden. Seitdem ist die Zucht rein privatrechtlich organisiert.
Schweinezucht
Die Zuchtgenossenschaft für das Meißner Schwein wurde 1888 gegründet und führte das erste Herdbuch für Schweine im deutschsprachigen Gebiet. Wie viele andere ursprüngliche Landrassen wurde sie später Teil der Deutschen Landrasse.[5] Nachdem schon seit den 1960er Jahren die Reinzucht von Schweinen zugunsten der Kreuzungszucht von Mastschweinen aus fruchtbaren Müttern (deutsche Landrasse, Belgische Landrasse oder Dänische Landrasse) und fleischreichen Vatertieren (Pietrain) weitestgehend verdrängt wurde, sind mittlerweile durch die Hybridzucht viele alte Schweinerassen gefährdet und die Herdbücher gewährleisten nur noch eine Erhaltungszucht.
Rassegeflügelzucht
Innerhalb des Bundes Deutscher Rassegeflügelzüchter (BDRG) besteht die Möglichkeit freiwillig an einem Zuchtbuch der jeweiligen Rasse teilzunehmen.[6] Zusätzlich führen im Rahmen der Erhaltungszucht mehrere Zuchtringe ein eigenes Zuchtbuch.[7]
Hundezucht
Das erste stud book („Zuchtbuch“) für Rassehunde wurde 1873 vom englischen „The Kennel Club“ herausgegeben.[8] Heute ist die Fédération Cynologique Internationale (FCI) die größte internationale Dachorganisation für Hundezucht. Sie legt Regeln zur Zucht fest und publiziert Festlegungen ihrer nationalen Mitgliedsorganisationen zu Rassestandards. In Deutschland koordiniert der Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH) die verschiedenen Rassehunde-Zuchtvereine.
Pferdezucht
In der Pferdezucht werden Stuten in das Stutbuch und gekörte Hengste in das Hengstbuch eingetragen.
Literatur
- Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage von 1888 bis 1890
- Heinrich Dathe: Registrierstellen für Wildtiere. Zur Geschichte der Zuchtbücher. In: Urania. 3/1980, Leipzig / Jena / Berlin 1980, S. 18–22.
- Hellmuth Wachtel: Hundezucht 2000. gesunde Hunde durch genetisches Management, Populationsgenetik für Hundezüchter und andere Kynologen, Hundezucht nach genetischen Erkenntnissen, der Weg zu erbgesunden Hunderassen, das Verhängnis der genetisch bedingten Krankheiten. 3. Auflage. Kynos Verlag, Mürlenbach 2007, ISBN 978-3-938071-32-8, S. 288.
Weblinks
Einzelnachweise
- Wachtel 2000
- HD-Statistik nach Rassen auf der Webseite der Orthopedic Foundation for Animals, abgerufen am 31. Januar 2013.
- Wilfried Brade, Edwin Brade: Zuchtgeschichte der Deutschen Holsteinrinder. In: Berichte über die Landwirtschaft – Zeitschrift für Agrarpolitik und Landwirtschaft. Band 91, Heft 2, 2013 (online).
- Fleischrinder Verband Bayern: Leitfaden zur Herdbuchzucht (PDF), abgerufen am 28. Mai 2015.
- Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (Hrsg.): Zur Entwicklung der Schweinezucht und -produktion im Land Sachsen 1850–2000. In: Schriftenreihe der sächsischen Landesanstalt für Landwirtschaft. Heft 1, 2003, S. 9 (publikationen.sachsen.de).
- Zuchtbuch des Bundes Deutscher Rassegeflügelzüchter, abgerufen am 7. November 2015.
- Fünf Zuchtringe innerhalb der Initiative zur Erhaltung alter Geflügelrassen, abgerufen am 7. November 2015.
- Anne Rogers Clark, Andrew H. Brace: The International Encyclopedia of Dogs. Howell Book House, New York 1995, ISBN 0-87605-624-9, S. 8: „In the strictest sense, dog breeds date back only to the last couple of decades of the nineteenth century, or to more recent decades in this (the twentieth) century but distinct types of dogs have existed centuries earlier.“