Erstinterview der Psychoanalyse nach Argelander
Das Erstinterview in einer Psychotherapie wird je nach Therapieschule und Hintergrund des Therapeuten oder der Therapeutin unterschiedlich gestaltet. Eine psychoanalytische Form ist das "Erstinterview der Psychotherapie" nach Hermann Argelander, in welcher die Indikation für eine Psychotherapie gestellt, die Wahl einer spezifischen Behandlungsmethode getroffen und die Prognose abgeschätzt wird.
Vorbedingungen
Für das Erstinterview müssen zeitlich und räumlich geeignete Rahmenbedingungen geschaffen werden. Dazu gehört ein ausreichendes Zeitfenster; genügend Ruhe; Ruhe und Behaglichkeit ausstrahlender Raum mit der Individualität des Interviewers.
Vor Beginn des Erstinterviews ist immer ein Vorinterview möglich. In dem kurzen Sondierungsgespräch wird geprüft, ob der Patient richtig „adressiert“ ist. Die an dem Gespräch beteiligten Personen sind in ihren Rollen eindeutig festgelegt. Auf der einen Seite sehen wir den psychotherapeutischen Fachmann, auf der anderen Seite den Patienten. Für beide Seiten besteht die Freiheit in der Wahl des Interviewers/ des Patienten und Schutz davor über die innersten Verhältnisse hinauszugehen.
Datensammlung
Im Erstinterview werden drei Formen von Daten (Informationen) erhoben. Zuerst die eher geläufigen persönlichen Daten. Dabei werden persönliche Angaben und biografische Fakten gesammelt und bestimmte Verhaltensweisen oder Persönlichkeitseigenschaften beobachtet. Diese Daten sind jederzeit nachprüfbar. Aus diesen Daten kann man Informationen ziehen, ohne dass man bei dem Gespräch anwesend gewesen sein muss. Sie sind vieldeutig und die Deutung erfordert Fachwissen.
Zweitens sind die subjektiven Daten einzubeziehen. Diese sind weniger verlässlich. Entscheidend ist hierbei die Bedeutung, die der Patient ihnen gibt. Die Daten sind meist eindeutig, aber schwer nachprüfbar. Erkennbar sind die Daten nur durch den gekonnten Umgang mit dem Patienten wahrnehmbar. Es entsteht ein lebendiges Bild vom Patienten, welches an die aktuelle Situation gebunden ist und nur schwer mit anderen Persönlichkeiten vergleichbar ist.
Letztlich müssen auch die szenischen Daten berücksichtigt werden. Hier werden das Erleben von Gefühlsregungen und Vorstellungsabläufen, auch wenn der Patient schweigt, berücksichtigt. Die Informationen sind nicht durch Wiederholung der Situation nachprüfbar. Die Wahrnehmung der Daten hängt von den Fähigkeiten des Interviewers ab und dessen Beziehungsfeldes zum Patienten. Alle drei Datenebenen werden in die Beurteilung des Patienten zusammen einbezogen. So entwickelt sich eine eigene Informationsgestalt. Der erste Eindruck eines Patienten entsteht aber schon vor dem Erstgespräch durch so genannte „Vorfeld-Phänomene“, wie der Patient sich bei der Anmeldung gibt; ob er den Termin einhält usw.
Motivation
Um eine weitere psychotherapeutische Behandlung für sinnvoll zu erachten, muss bei dem Patienten ein gewisser Grad an Motivation entdeckt werden. Vier unterschiedliche Typen von Patienten können nach Hermann Argelander auf den Interviewer treffen:
- Der „vorgeschobene Patient“ wird oft von Freunden oder Familienmitgliedern vorgeschickt und hat oft eine geringe Motivation. Dieser Patient muss aus seiner passiven Rolle herausgelöst werden und er muss seinen eigenen Anteil an der Krankheit akzeptieren.
- Der „anspruchsvolle Patient“ hat hohe Ansprüche aber geringen persönlichen Einsatz. Erweckt oft Mitleidsreaktionen, welche die Einschätzungen trüben. Diese Patienten verfügen nicht über die nötige Krankheitseinsicht. Sie kokettieren mit Wissen und besitzen ein gestörtes Taktgefühl. Die Motivation bildet sich aus dem Verlangen nach Vervollkommnung des Wissens.
- Der „unergiebige Patient“ kann den Interviewer nicht fesseln. Er ist im Ausdruck gehemmt und emotional starr. Der Psychoanalytiker muss sich im Interview auf Widerstand einstellen.
- Der „aufgeklärte Patient“ besitzt großes Vorwissen über die Behandlungsmethode. Er strebt nach Vervollkommnung. Der häufig sehr differenzierten Intellektualität steht oft ein verkümmertes und schwer zugängliches Gefühlsleben gegenüber.
Ziel
Ziel des Erstinterviews ist es, dass sich der Patient nicht nur mitteilt, sondern auch Persönlichkeitsstörungen preisgibt. Dies wird für die Urteilsfindung benötigt. Im Interview wirken sich persönliche Vorstellungen und Erwartungen des Patienten aus. Dies gibt dem Interviewer die Möglichkeit der Einflussnahme. Diese Möglichkeit wird im Untersuchungsplan (der während des Erstinterviews aufgestellt wird) mit einbezogen.
Interviewer
Der Interviewer sollte stets eine ruhige abwartende Haltung einnehmen und gleich bleibende Aufmerksamkeit und Interesse zeigen. Während des Gespräches sollten die Grenzen klargemacht werden und auf ihre Einhaltung geachtet werden. Der Interviewer darf niemals ins Agieren geraten (unbewusstes Handeln nach den Wünschen des Patienten). Keine Kritik oder Urteile werden eingebracht, sondern es wird lediglich je nach Situation nach dem Sinn gefragt. Widerstände während des Gespräches sollten umgangen werden, das stört die wichtige Datensammlung. Für Interpretationen muss die erforderliche, unbewusste Bestätigung vom Patienten eingeholt werden als Reflexion. Es ist festzuhalten, dass der Interviewer immer mehr weiß, als er zu Protokoll geben kann. Nur mit Wissen und Erfahrung lassen sich Zusammenhänge erkennen und richtig deuten.
Literatur
Hermann Argelander: Das Erstinterview in der Psychotherapie. Wissenschaftlicher Buchverlag, Darmstadt, 1. Aufl. 1970, unveränderte 10. Aufl. 2014