Corporate Venture Building
Corporate Venture Building bezeichnet eine Anlageklasse, bei der ein etabliertes Unternehmen eigenständige Unternehmen im Sinne eines Start-ups vollständig neu aufbaut. Corporate Venture Building basiert in der Regel auf einem systematischen Prozess zum Aufbau neuer Unternehmen mit Geschäftsmodellen, die sich wesentlich von denen des Mutterunternehmens unterscheiden.
Ähnlich dem Corporate Venture Capital erfolgt die Unternehmensfinanzierung des zu gründenden Unternehmens größtenteils nicht über ein unabhängiges, im Finanzbereich tätigen Unternehmen, sondern durch das Mutterunternehmen, welches dieses neue Unternehmen gründet.
Beispiele für Corporate Venture Building Aktivitäten
Das chinesische Finanzkonglomerat Ping An, das über den Versicherungsbereich hinaus in ein breiteres Ökosystem wie Banken, Gesundheitswesen, Smart Cities und Wohnungsbau expandiert ist, stellt ein Beispiel für ein Unternehmen dar, welches gezielt und erfolgreich über Corporate Venture Building neue Geschäftsmodelle entwickelt. Zwischen 2013 und 2018 hat Ping An fast 500 Millionen Online-Nutzer gewonnen, 11 neue digitale Plattformen über verschiedene Branchen hinweg geschaffen und die Zahl der Versicherungsvertreter auf 1,4 Millionen erhöht, von denen alle mit den digitalen Tools und Apps des Unternehmens ausgestattet sind. Unter Anderem hat Pin An eine Gesundheitsplattform namens Good Doctor entwickelt, die 2018 an die Börse gegangen ist. Good Doctor verzeichnete 2018 pro Tag mehr als 500.000 gesundheitsbezogene Online-Konsultationen und bedienten etwa 258 Städte und half lokalen Regierungen, medizinische Anträge zu bearbeiten und effizienter zu gestalten.[1]
In Deutschland hat beispielsweise die Gothaer Krankenversicherung mit [alley] ein eigenes Corporate Venture im Gesundheitsbereich zusammen mit dem Corporate Venture Builder FoundersLane[2] entwickelt, das eine Companion-App für orthopädische Patienten anbietet und sich aktuell in der Anmeldung zur digitalen Gesundheitsanwendung befindet.[3][4]
Ein weiteres Beispiel ist das Berliner Corporate Venture Solytic. Das Unternehmen wurde im September 2017 mit Hilfe eines Corporate Venture Builders gegründet. Im März 2018 erhielt Solytic ein Seed-Investment von Vattenfall in Höhe von 3 Mio. € und wurde somit zu dessen Portfolio-Unternehmen. Im Februar 2020 sicherte das junge Unternehmen den Abschluss seiner Serie A mit einem Investitionsvolumen von fast 5 Mio. € von dem neuen Investor EWE und dem bestehenden Investor Vattenfall.[5]
Ziele und Funktionen
Im Unterschied zu Start-Ups, die von Wagniskapital-Gebern mit dem wesentlichen Ziel der Renditeerzielung ausgegeben werden, verfolgt das Corporate Venture Building daneben und zumeist übergeordnet strategische Ziele: Etablierte Unternehmen nutzen diese Finanzierungsmöglichkeit zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und/oder zur Erschließung weiterer Märkte bzw. zur Diversifikation. Zumeist wird Corporate Venture Building für digitale Geschäftsmodelle genutzt, die im Vergleich zum kapitalgebenden Unternehmen komplementäre Produkte oder Dienstleistungen entwickeln bzw. anbieten. Bisweilen wird durch Corporate Venture Building auch das Ziel verfolgt, Wettbewerbern, insbesondere Start-Ups, in einem spezifischen Markt zuvorzukommen.[6]
Hierbei werden gezielt Stärken des Mutterunternehmens genutzt, wie beispielsweise Vertriebskanäle, Daten, Markenwahrnehmung und Marktvertrauen, technologisches und regulatorisches Know-how, geistiges Eigentum und Produktionskapazitäten. Dadurch werden Vorteile gesichert, die frei stehenden Start-Ups üblicherweise nicht zur Verfügung stehen. Hieraus ergibt sich für Unternehmerinnen und Unternehmer die Möglichkeit, neue Geschäftsmodelle in Märkten zu entwickeln, die ihnen aufgrund hoher Eintrittsbarrieren sonst verwehrt bleiben würden.[7]
Struktur von Corporate Venture Building Programmen
Corporate Venture Building ist ein hybrider Ansatz, der unternehmerische Methoden einsetzt, um die vorhandenen Vermögenswerte (z. B. Branchenexpertise, Anlagen, Daten, Reputation) eines etablierten Unternehmens nutzt, um sich so strategische Vorteile gegenüber anderen Start-ups zu sichern.
In der Regel findet Corporate Venture Building nicht als opportunistische Einzelmaßnahme statt. Unternehmen entwickeln in der Regel ein Portfolio von aufeinander abgestimmten, jedoch dennoch unabhängigen neuen Unternehmen. Zudem ist Corporate Venture Building nicht darauf beschränkt, neue Unternehmen von Grund auf aufzubauen. Es kann seine Ziele auch durch Käufe oder Partnerschaften erreichen. Der Erfolg hängt von der Wahl eines geeigneten digitalen Betriebsmodells und insbesondere von der Einrichtung eines Unternehmerischen Gremiums (Engl. "Entrepreneurial Growth Board") ab, das die Gründung, die Finanzierung und das Wachstum der neuen Unternehmen leitet und verwaltet.[7]
Da die für das Corporate Venture Building notwendige Expertise häufig in etablierten Konzernen nicht hinreichend vorhanden ist,[8] haben sich externe Unternehmen, die sogenannten Corporate Venture Builder entwickelt. Diese helfen etablierten Konzernen beim frühphasigen Aufbau von Start-Ups.
Literatur
- Staeritz, Felix; Jungmann, Sven: FightBack NOW : Leveraging your assets to shape the new normal. Second volume Auflage. LID Publishing, London 2020, ISBN 978-1-911671-33-6. (worldcat.org [abgerufen am 17. Dezember 2020]). Second volume Auflage. London, ISBN 978-1-911671-33-6. (worldcat.org[abgerufen am 17. Dezember 2020])
Einzelnachweise
- Adventskalender zum Mutmachen - 10. Dezember. Abgerufen am 17. Dezember 2020.
- alley - value based managed care. Abgerufen am 17. Dezember 2020.
- https://www.brainwave-hub.de/post/value-based-healthcare-special. Abgerufen am 17. Dezember 2020 (englisch).
- Solar data manager Solytic raises Series A from EWE and Vattenfall - ECOSUMMIT - Smart Green Business Network and Conference. Abgerufen am 17. Dezember 2020 (amerikanisches Englisch).
- Why corporate venture building could save the world. Abgerufen am 17. Dezember 2020 (amerikanisches Englisch).
- Jungmann, Sven,: FightBack NOW : Leveraging your assets to shape the new normal. Second volume Auflage. London, ISBN 978-1-911671-33-6.
- Why There’s No Such Thing as a Corporate Entrepreneur. In: Harvard Business Review. 5. Februar 2018, ISSN 0017-8012 (hbr.org [abgerufen am 17. Dezember 2020]).