Close Reading
Close reading (wörtlich: nahes Lesen; Lesen nah am Text) ist ein Begriff der Literaturwissenschaft für die sorgfältige Interpretation einer Textpassage, d. h. ein präzises, Details, Bedeutungsnuancen und sprachlichen Charakteristika nachspürendes Lesen, das den Text als Objekt in den Mittelpunkt des Interesses stellt.[1] Solch eine Vorgehensweise legt großen Wert auf das Spezielle im Vergleich zum Allgemeinen, achtet genau auf einzelne Wörter, Syntax und die Reihenfolge der Sätze und Wörter.
Geschichte
Close reading wurde durch den sogenannten New Criticism in der Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelt und gilt inzwischen als grundlegende Methode der neueren Literaturkritik und -interpretation.[2] Zu den methodologischen Pionieren des close reading gehören die englischen Literaturwissenschaftler I. A. Richards und dessen Schüler William Empson: Empsons Studie Seven Types of Ambiguity gilt als Klassiker des New Criticism.[3] In Anlehnung an Richards wurde das Prinzip des close reading in England ebenso unter dem Stichwort des practical criticism bekannt.[4] Der französische Philosoph und Literaturwissenschaftler Jacques Derrida widmete in seinem Essay Ulysses Gramophone der Interpretation des Wortes „yes“ in James Joyce’ Roman Ulysses mehr als 80 Seiten.
Der italienische Literaturwissenschaftler Franco Moretti prägte in seinem Buch Graphs, Maps, Trees 2005 in Anspielung auf close reading den Begriff des Distant Reading (wörtlich: entferntes Lesen), das mit großen Textmengen in Datenbanken arbeitet (siehe Digital Humanities).[5]
Weblinks
- Close Reading of a Literary Passage. Auf: Carson-Newman-University. Abgerufen am 26. März 2014. (englisch)
- How to Do a Close Reading. Auf: Writing-Center der Harvard-Universität. Abgerufen am 26. März 2014. (englisch)
Einzelnachweise
- Peter Wenzel: New Criticism. In: Ansgar Nünning (Hrsg.): Grundbegriffe der Literaturtheorie. Metzler Verlag, Stuttgart und Weimar 2004, ISBN 3-476-10347-1, S. 191–195, hier S. 192f.
- Peter Wenzel: New Criticism. In: Ansgar Nünning (Hrsg.): Grundbegriffe der Literaturtheorie. Metzler Verlag, Stuttgart und Weimar 2004, ISBN 3-476-10347-1, S. 191–195, hier S. 193. Vgl. auch Jeremy Hawthorne: New Criticism. In: Jeremy Hawthorne: Grundbegriffe moderner Literaturtheorie · Ein Handbuch. Übersetzt von Waltraud Korb. Francke Verlag, Tübingen und Basel 1994, ISBN 3-8252-1756-6, S. 218–224, hier S. 221–223.
- Vgl. eingehender auch in methodenkritischer Hinsicht das Kapitel: Das Prinzip des „close reading“. In: Robert Weimann: „New Criticism“ und die Entwicklung bürgerlicher Literaturwissenschaft, Beck Verlag, 2. Aufl. München 1974, ISBN 3-406-05014-X, S. 96–100.
- Peter Wenzel: New Criticism. In: Ansgar Nünning (Hrsg.): Grundbegriffe der Literaturtheorie. Metzler Verlag, Stuttgart und Weimar 2004, ISBN 3-476-10347-1, S. 191–195, hier S. 193.
- Rolf Parr, Alexander Honold: Grundthemen der Literaturwissenschaft: Lesen. Walter de Gruyter GmbH & Co KG, 2018, ISBN 978-3-11-039128-2 (google.de [abgerufen am 16. September 2021]).