Biodynamik
Mit Biodynamik wird eine körperpsychotherapeutische Methode (Körperorientierte Psychotherapie) bezeichnet, die ihre Wurzeln in der Vegetotherapie Wilhelm Reichs, der Physiotherapie Aadel Bülow-Hansens, der Humanistischen Psychologie sowie Ansätzen Carl Gustav Jungs hat. Begründet wurde die Biodynamik von Gerda Boyesen. Eine Weiterentwicklung erfolgte unter anderem durch Ebba und Mona Lisa Boyesen, die Töchter von Gerda Boyesen, die auch Therapeuten ausbilden. Die von Gerda Boyesen in ihrer letzten Lebensdekade praktizierte Version biodynamischer Psychotherapie beruht auf einer Kombination von haltungsverändernden Massagen und Vegetotherapie. Eine Wirksamkeit der Biodynamik wurde bislang in keiner wissenschaftlichen Untersuchung bewiesen.
Ziel der Biodynamik ist es, den Menschen durch Abbau neurotischer Muster zu intensiverem Erleben zu verhelfen. Statt durch Angst entstandene Haltemuster soll sein Leben, Handeln und Fühlen vom Fluss der Libido bestimmt werden, die Ausdruck des Lebendigen in jedem von uns ist. Dabei ist die therapeutische Haltung die, dass der Klient Selbstheilungskräfte besitzt, die durch die Interventionen angestoßen und im Verlauf des Prozesses unterstützt werden.
Biodynamische Therapie
Die These Trennung von Körper und Psyche wird in der Biodynamik nicht vertreten. Stattdessen wird über die Ansätze der Psychosomatik hinaus die Annahme vertreten, dass Gefühle verkörpert werden, d. h. eine vom Körper und von körperlichen Empfindungen losgelöste Psyche nicht existiert. Mit therapeutischen Interventionen in Form von Berührung, Arbeit mit Bildmaterial und Gespräch wird versucht, die aus alten Erfahrungen heraus blockierte Lebensenergie wieder ins Fließen zu bringen. Aus Sicht der Biodynamik werden in muskulären Verspannungen, im Bindegewebe oder auf der Knochenhautebene Gefühle gehalten, die nicht zum Ausdruck kommen durften. Sie sollen behutsam unter Respektierung des Widerstands gelöst und entweder „ausgedrückt“ oder „verdaut“ werden.
Das Ausdrücken kann durch Regressionsprozesse hindurchgehen, in denen die meist frühkindlichen Erlebnisse erneut durchlebt und bislang Unausgedrücktes schließlich herausgelassen wird. Wobei sich die Beschreibung von dem Nicht-zum-Ausdruck-kommen-gedurften nicht auf objektiv messbare Kriterien bezieht, sondern auf die vom Klienten erlebte Situation. Je nach Regressionstiefe sind dies in der Regel Situationen in der Kindheit, in denen sich der Klient gegenüber seinen Eltern machtlos fühlte und aus Angst vor Strafe oder aus dem Wunsch nach Anerkennung heraus seine Impulse unterdrückte. Der Begriff Lebensenergie bezieht sich auf die Kraft, die aus dem Es zum Ausdruck dieser Gefühle und Handlungsimpulse drängt.
Der in der Biodynamik beschrittene Weg, statt durch Ausagieren die gehaltenen Gefühle zu "verdauen", wird von Biodynamik-Therapeuten als „Psychoperistaltik“ bezeichnet. In diesem Prozess soll emotionaler Stress, wie z. B. unausgedrückte Gefühle, durch das Verdauungssystem und den Darm verarbeitet werden. In der Arbeit am Klienten soll der Zusammenhang zwischen den Massagebewegungen des Therapeuten und der „Antwort“ des Darms des Klienten über die Psychoperistaltik mit einem Stethoskop mitverfolgt werden.
Da diese Arbeit am Körper auch ohne Sprache erfolgen kann, soll sie geeignet sein, Frühstörungen zu bearbeiten, die vor einem sprachlichen Bewusstsein aufgetreten sind wie Konflikte, die im ersten Lebensjahr entstanden sind, in dem der Klient seine Welt noch nicht in Worten verstanden und erfasst hatte. Ein Bewusstsein über fehlenden Körperkontakt oder Sicherheit in dieser Phase ist nach Auffassung der Biodynamik als Gefühl vorhanden und kann vielfach vom Klienten nicht als Bedürfnis verbal ausgedrückt werden. In der Arbeit am Körper sollen über das so genannte Re-Parenting bzw. Nachnähren solche Störungen bearbeitet werden.
Kritik
Von Medizinern wird die Biodynamik nicht als wissenschaftliche Methode anerkannt. So heißt es zum Beispiel in einer Beurteilung durch die AOK: „Wissenschaftlich entbehren die Vorstellungen von "emotionalen Rückständen", die über den Darm abgegeben werden, jedweder Grundlage. Es gibt auch keine wissenschaftlichen Studien, die die Wirksamkeit der Therapie belegen könnten. (...) Sicherlich haben Ängste und Stress Auswirkungen auf das vegetative Nervensystem des Darms und zeigen sich in einer veränderten Verdauungstätigkeit. Aber die Vorstellung, dass die Darmgeräusche ein Ausdruck der psychischen Situation des Patienten seien, ist nicht nachvollziehbar.“[1]
Literatur
- Gerda Boyesen: Über den Körper die Seele heilen: Biodynamische Psychologie und Psychotherapie, München, Kösel Verlag 1994 (7. Aufl.) ISBN 3-466-34167-1
- Gerda Boyesen: Über den Körper die Seele heilen: Biodynamische Psychologie und Psychotherapie, Kiel, Boyesen Verlag 2019 (1. Neu-Aufl.) ISBN 978-3-944225-02-9
- Gerda Boyesen, Peter Bergholz: Dein Bauch ist klüger als du, Hamburg, Miko-Edition 2003 ISBN 3-935436-13-0
- Gerda Boyesen, Mona Lisa Boyesen: Biodynamik des Lebens: Die Gerda-Boyesen-Methode – Grundlage der biodynamischen Psychologie, Essen, Verlag Synthesis, 1987
- Gerda Boyesen u. a.: Von der Lust am Heilen, München, Kösel Verlag 1995
- Paul Boyesen, Huber, Hans-Georg: Eigentlich möchte ich … Leben zwischen Wunsch und Wirklichkeit, Kösel-Verlag, München 1991, ISBN 3-466-34256-2
- Siegfried Bach: Narzißmus im Licht der Biodynamik, in: M. Thielen (Hg): Narzissmus, Körperpsychotherapie zwischen Energie und Beziehung, Berlin, Verlag Ulrich Leutner, 1997, S. 169–200 ISBN 3-934391-13-3
- Werner Eberwein: Impulse von Innen: Biodynamik, Körperpsychotherapie zur Heilung und Selbstfindung, Transform Verlag, Oldenburg 1990
- Bernard Maul: Körperpsychotherapie oder die Kunst der Begegnung, Eigenverlag, Berlin 1992.
Einzelnachweise
- Biodynamik AOK, Dezember 2011. Abgerufen am 14. August 2012.