Außenseiter
Als Außenseiter bezeichnet man Menschen oder Gruppen von Menschen, die einer sozialen Gemeinschaft zwar zugehören, in dieser Gemeinschaft aber nicht voll integriert sind. Der Begriff des Außenseiters ist Gegenstand soziologischer, psychologischer und kulturwissenschaftlicher Betrachtung.
Soziologische Ansätze
Allgemeines
Überall, wo es Gemeinschaften mit sozialen Normen und Werten gibt, gehört zu ihnen auch eine (oft implizite) Regelung für Normbrecher und ferner eine Regelung, welche sozialen Akteure gar nicht erst darunter fallen, so dass man große soziale Distanz zu ihnen zu halten sucht. Nach welchen Kriterien diese „Außenseiter“ aufgrund von deviantem Verhalten ausgeschlossen werden, ist sehr unterschiedlich; große Gruppierungen können durch Herrschaftsverhältnisse in diese Kategorie eingeordnet werden, wie etwa in einer Kastengesellschaft die Parias. Auf den für die Betroffenen sehr merkliche, sonst aber unauffällige Weise ist dieser soziale Prozess der Distanzierung als Exklusion schwächer oder stärker allgegenwärtig.
Beim Ziehen der Grenzen orientiert sich die Gesellschaft zunächst an der Norm, dem Durchschnitt, der Menge, der Masse, den meisten, dem kulturellen, sozialen und politischen Mainstream, darüber hinaus an der Norm im Sinne des Normierten, des Üblichen, an der Regel. Was außerhalb der Grenzen liegt, lässt sich subsumieren als die Marginalität, die Randständigkeit, das Sekundäre, das Unwesentliche, das nicht zum Zentrum gehörende, die Andersartigkeit, das Ausgegrenzte, das nicht weiter Beachtete, das Abseits, das verschroben Abseitige, das Außenseitertum im abenteuerlichsten, im romantischsten Sinne, die Periphere, das nicht fest zu einem Bereich Zuordenbare, das Freie. Außenseitertum und Marginalität können also im Positiven auch Freiheit bedeuten (franz. la marge, „der Spielraum“, lat. margo, „die Grenze“), eine Grenze, die man ziehen und überschreiten kann: die schützende, die sichernde, aber auch die zu schützende, die zu sichernde, das heißt die ausschließende, die abweisende – und je nach Standpunkt auch das Exklusive, das Elitäre, das Herausgehobene, das Spezielle oder das zu Unrecht Verkannte.
Begriffsumfang
Als Außenseiter bezeichnet man Personen (soziologisch: „Akteure“) oder soziale Gruppierungen (soziologisch „kollektive Akteure“),
- die außerhalb gesellschaftlicher Gruppen stehen;
- die von einer anderen Gruppierung aufgrund unterschiedlicher Normen ausgegrenzt oder ausgeschlossen werden;
- die von einer Gruppe kollektiv als „unsympathisch“ eingestuft und damit psychisch stigmatisiert werden;
- die sich in einem bestimmten Bereich als Nichtfachleute oder „Uneingeweihte“ herausstellen oder sich selbst als solche empfinden;
- die sich aus unterschiedlichen Gründen nicht in eine Gemeinschaft integrieren wollen oder auch auf bereits erfolgte Ausgrenzung mit einer Selbstausgrenzung antworten.[1]
Psychologische Ansätze
Der Psychologe Daniel Goleman führt unfreiwilliges Außenseitertum bei Kindern hauptsächlich auf mangelnde emotionale und soziale Kompetenz zurück. Besonders betroffen seien schüchterne, zaghafte und ängstliche Kinder sowie aggressive, die zu Wutausbrüchen neigten und Signale aus ihrer Umwelt vorschnell als Ausdruck von Feindseligkeit deuteten. Über solche Eigenarten des individuellen Temperaments hinaus handle es sich um „sozial unmusikalische“ Kinder, deren „soziale Ungelenkigkeit“ dazu führe, dass sich andere unbehaglich fühlten. Sie verstünden emotionale Signale nicht richtig und würden von Gleichaltrigen nicht als Kinder eingeschätzt, mit denen man Spaß haben könne.[2]
Wenn diese Situation lange andauere, würden laut Parker und Asher durch die erzwungene oder aus eigenem Antrieb gesuchte Isolierung des Kindes Gelegenheiten zum weiteren sozialen Lernen versäumt. Das Außenseitertum könne sich so bis ins Erwachsenenalter fortsetzen und dort zu Partnerschafts- und anderen Problemen führen.[3] Der Psychologe Emory L. Cowen (University of Rochester) wies bereits 1973 darauf hin, dass die Beliebtheit eines Kindes während des dritten Schuljahres ein starker Prädiktor für die seelische Gesundheit sei, die derselbe Mensch im Alter von 18 Jahren haben werde.[4]
Schule
Es gibt viele Gründe für die Ausgrenzung einer Person und somit zur Bildung einer Außenseiterstellung. Zeigt zum Beispiel ein Kind oder Jugendlicher an Orten, an denen Markenkleidung allgemein als erstrebenswert betrachtet wird, kein Interesse daran, macht ihn dies oft zum Außenseiter. Auch ein von der jeweiligen „Norm“ oder dem Schönheitsideal abweichendes Äußeres kann zu einer Außenseiterstellung führen, wie auch Schüchternheit, Ängstlichkeit oder der Mangel an aggressivem Verhalten.
Man unterscheidet unter anderem zwischen „aggressiv-antisozialen“ und „introvertiert-schüchternen“ Außenseitern, wobei sich beide Unterscheidungsmerkmale auch in einer Person vereinen können. Da Außenseiter in der Schule häufig von anderen Schülern gedemütigt werden, kann dies bei den Opfern zu depressiven Zuständen und im Extremfall zu Suizidgefahr führen (siehe Mobbing in der Schule).
Eine Langzeitstudie der Universität Stockholm, die die Entwicklung von über 14.000 Schülern der Jahrgänge 1953 von 1966 bis zum Jahre 2003 verfolgte, zeigte eine erhöhte Anfälligkeit an körperlichen und seelischen Krankheiten sowie Verhaltensauffälligkeiten im späteren Leben der sozial isolierten Jugendlichen.[5]
Der Psychologe Steven Asher (University of Illinois) hatte 1987 mit einer Methode Erfolg, unbeliebte Kinder durch Training sozialer Fähigkeiten besser in ihre Klassenverbände zu integrieren.[6] Ein ähnliches Projekt führte zwei Jahre später ebenfalls erfolgreich Stephen Nowicki (Emory University) durch.[7]
Literatur und Medien
In der Belletristik sind Außenseiter ein beliebtes Thema (vgl. z. B. Wilhelm Raabes „Stopfkuchen“).
Siehe auch
Als Synonyme für Außenseiter werden gelegentlich auch die Begriffe Sonderling, Spinner oder Kauz verwendet.
Literatur
- Howard S. Becker: Außenseiter. Zur Soziologie abweichenden Verhaltens (= Fischer-Taschenbücher. 6624). Übers. von Norbert Schulze. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1981, ISBN 3-596-26624-6.
- Ariane Berthoin Antal, Meinolf Dierkes, Camilla Krebsbach-Gnath (Hrsg.): Wo wären wir ohne die Verrückten? Zur Rolle von Außenseitern in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. Edition Sigma, Berlin 2001, ISBN 3-89404-489-6.
- Norbert Elias, John L. Scotson: Etablierte und Außenseiter. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-518-38382-5.
- Hans Mayer: Außenseiter. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-518-41902-1.
- Ortwin Pelc, Jürgen H. Ibs (Hrsg.): Arme, Kranke, Außenseiter. Wachholtz Verlag, Neumünster 2005, ISBN 3-529-02936-X.
- Udo Rauchfleisch: Außenseiter der Gesellschaft. Psychodynamik und Möglichkeiten zur Psychotherapie Straffälliger. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1999, ISBN 3-525-45843-6.
- Dietmar Sedlaczek (Hrsg.): „Minderwertig“ und „asozial“: Stationen der Verfolgung gesellschaftlicher Außenseiter. Chronos Verlag, Zürich 2005, ISBN 3-0340-0716-7.
- Hans Georg Zilian (Hrsg.): Insider und Outsider. (Die Dokumentation der internationalen Konferenz 2003 „Insider und Outsider“ in Graz). Mering / Hampp Verlag, München 2004, ISBN 3-87988-857-4.
Einzelnachweise
- Vgl. Wolfgang Ayaß: „Vagabunden, Wanderer, Obdachlose und Nichtsesshafte“. Eine kleine Begriffsgeschichte der Hilfe für Wohnungslose. In: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit. 43, Heft 1, 2013, S. 90–102.
- Daniel Goleman: Emotional Intelligence. Why It Can Matter More Than IQ. 1. Auflage. Bantam, New York 1995, ISBN 0-553-09503-X, S. 249–251.; Kenneth Dodge, Esther Feldman: Social Cognition and Sociometric Status. In: Steven Asher, John Coie (Hrsg.): Peer Rejection in Childhood. Cambridge University Press, New York 1990.
- Jeffrey Parker, Steven Asher: Friendship Adjustment, Group Acceptance and Social Dissatisfaction in Childhood. Konferenzpapier. American Educational Research Association, Boston 1990.
- Emory L. Cowen: Longterm Follow-Up of Early Detected Vulnerable Children. In: Journal of Clinical and Consulting Psychology. Band 41, 1973.
- Außenseiter werden später öfter krank. In: Spiegel Online. 29. September 2009.
- Steven Asher, Gladys Williams: Helping Children Without Friends in Home and School Contexts. In: Children’s Social Development: Informations for Parents and Teachers. University of Illinois Press, Urbana, Champaign 1987.
- Stephen Nowicki: A Remediation Procedure for Nonverbal Processing Deficits. unveröffentlichtes Manuskript. Duke University, 1989.