Antenor-Kore
Die sogenannte Antenor-Kore ist eine spätarchaische Mädchenstatue (Kore) aus parischem Marmor, die um 530/520 v. Chr. geschaffen wurde.
Die Statue wurde in mehreren Fragmenten bei Ausgrabungen auf der Athener Akropolis im sogenannten Perserschutt gefunden. Östlich des Parthenons wurden 1882 der untere Teil und der linke Arm ausgegraben, 1886 entdeckte man westlich des Erechteions das Oberteil. Ergänzt sind Teile der Unterschenkel. Das Gesicht, insbesondere die Nase, ist beschädigt. Ebenso fehlt der rechte Unterarm. Die Vorderfüße auf der Plinthe fehlen ebenfalls. Die Kore wurde ursprünglich im Athena-Heiligtum auf der Akropolis aufgestellt und befindet sich heute im Akropolismuseum[1]. Die Statue hat eine Höhe von 201 cm ohne Plinthe.
Zu den Funden der damaligen Ausgrabungen gehörten auch Fragmente einer Statuenbasis aus pentelischem Marmor in Form eines Pfeilerkapitells. Statue und Basis wurden erstmals von Franz Studniczka als zusammengehörig betrachtet,[2] was sich weitestgehend durchgesetzt hat.[3] Doch wurden auch Zweifel an dieser Zuweisung laut.[4] Die auf der Basis angebrachte Inschrift nennt neben dem Stifter Nearchos den ausführenden Bildhauer Antenor und dessen Vater Eumares. Sie lautet:[5]
- Νέαρχος ἀνέθεκεν̣ [ℎο κεραμε]-
- ὺς ἔργον ἀπαρχὲν τ̣ἀθ[εναίαι].
- Ἀντένορ ἐπ[οίεσεν ℎ]-
- ο Εὐμάρος τ[ὸ ἄγαλμα]
Die erhaltene Endung υς der zweiten Zeile wird allgemein zu κεραμεύς („Töpfer“) ergänzt und der Stifter mit dem bekannten Töpfer Nearchos[6] aus dem 2. Viertel des 6. Jahrhunderts v. Chr. oder einem anderen Töpfer[7] des Namens, möglicherweise einen Sohn oder Enkel des bekannten Nearchos,[8] identifiziert. Verschiedentlich wurde infrage gestellt, ob ein einfacher Handwerker Stifter einer solchen Votivstatue gewesen sein konnte, und es wurden abweichende Ergänzungen der Inschrift vorgeschlagen.[9] Auf der anderen Seite war es im 6. Jahrhundert v. Chr. durchaus möglich, durch handwerkliche Tätigkeiten bescheidenen Reichtum zu erlangen, und es sind weitere Stiftungen von Töpfern und Vasenmalern von der Akropolis bekannt[10].
Die Kore trägt brustlanges Haar, das zum Teil nicht mehr erhalten ist. Das Stirnhaar ist mit Buckellocken wiedergegeben, während das Haupthaar in sich auffächernden Strähnen über die Schulter und grade über den Rücken fällt. Haupt- und Stirnhaar sind durch ein Diadem getrennt. Die Skulptur ist wie alle archaischen Koren nicht nur streng axial aufgebaut, sondern blickt auch frontal auf den Betrachter. Sie ist mit Chiton und Himation bekleidet. Letzteres ist über den linken Arm gelegt und scheint von Fibeln an der Oberseite zusammengehalten zu werden, an der Unterseite wirft es Omega-Falten. Mit der linken Hand rafft die Dargestellt den Chiton, wodurch charakteristische Falten entstehen. Auffällig sind die leeren Augenhöhlen, die auf Einlagen aus anderem Material, wohl Glas, schließen lassen – ein eher seltenes Verfahren bei Marmorstatuen dieser Zeitstellung.
Literatur
- Antony E. Raubitschek: Dedications from the Athenian Akropolis. A catalogue of the inscriptions of the sixth and fifth centuries B. C. Archaeological Institute of America, Cambridge, Mass. 1949, S. 232–233, Nr. 197.
- Gisela M. A. Richter: Korai. Archaic Greek Maides. A Study of the Development of the Kore Type in Greek Sculpture. Phaidon, London 1968, S. 69, Nr. 110, Abb. 336–340.
- Katerina Karakasi: Archaische Koren. Hirmer, München 2001, S. 125. 133 Taf. 148–149. 254–256.
- Sascha Kansteiner, Lauri Lehmann, Bernd Seidensticker, Klaus Stemmer (Hrsg.): Text und Skulptur. Berühmte Bildhauer und Bronzegiesser der Antike in Wort und Bild. De Gruyter, Berlin/New York 2009, ISBN 978-3-11-019610-8, S. 5–7 (Google Bücher).
- Martin Bentz, Wilfred Geominy, Jan Marius Müller (Herausgeber): TonArt. Virtuosität antiker Töpfertechnik. Imhoff, Petersberg 2010, ISBN 978-3-86568-610-7, S. 126–127 Nr. 92.
Weblinks
Anmerkungen
- Inventarnummer 681.
- Franz Studniczka: Antenor der Sohn des Eumares und die Geschichte der archaischen Malerei. In: Jahrbuch des Kaiserlich Deutschen Archäologischen Instituts. Bd. 2, 1887, S. 135–168, hier: S. 141.
- Sascha Kansteiner, Lauri Lehmann, Bernd Seidensticker, Klaus Stemmer (Hrsg.): Text und Skulptur. Berühmte Bildhauer und Bronzegiesser der Antike in Wort und Bild. De Gruyter, Berlin/New York 2009, S. 6.
- Ernest Arthur Gardner in: Journal of Hellenic Studies. Bd. 10, 1889, S. 278; Guy Dickins: Catalogue of the Acropolis Museum. Band 1: Archaic sculpture. Cambridge University Press, Cambridge 1912, S. 228–232; Humfry Payne, Gerard Mackworth Young: Archaic marble sculpture from the Acropolis. Cresset Press, London 1950, S. 31.
- Inscriptiones Graecae (IG) I³ 628.
- Zu diesem Bettina Kreuzer: Nearchos (I). In: Rainer Vollkommer (Hrsg.): Künstlerlexikon der Antike. Band 2: L–Z. Addendum A–K. Saur, München/Leipzig 2004, ISBN 3-598-11414-1, S. 113–114 (hier ebenfalls als Stifter der Kore angesehen).
- So hält Jeffrey M. Hurwit: The Art and Culture of Early Greece, 1100-480 B.C. Cornell University Press, Ithaca 1985, S. 250 die Ergänzung zu κεραμεύς für richtig, die Identifizierung mit dem bekannten Töpfer hingegen für möglich, aber unwahrscheinlich.
- So John D. Beazley: Potter and Painter in Ancient Athens. (= Proceedings of the British Academy. Bd. 30.) Cumberledge, Oxford 1944, S 21; Thomas B. L. Webster: Potter and Patron in Classical Athens. Methuen, London 1972. S. 10; Catherine M. Keesling: The Votive Statues of the Athenian Acropolis. Cambridge University Press, Cambridge 2003, S. 58.
- Alan W. Johnston: Amasis and the Vase Trade. In: Papers on the Amasis Painter and His World. The J. Paul Getty Museum, Malibu 1987, 135: τοῦ δεῖνα ὑ]ύς („Sohn eines solchen“); als Demotikon gedeutet von Michael Vickers: Artful Crafts. The Influence of Metal Work on Athenian Painted Pottery. In: Journal of Hellenic Studies. Bd. 105, 1985, S. 125 Nr. 162: Ἐλευθερε]ύς („aus Eleutherai“) und David Gill, Michael Vickers: Pottery and Precious Metal in Classical Greece. In: Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts. Bd. 105, 1990, S. 7–8: Κεραμεύς oder Μελιτεύς („aus Kerameis“ oder „aus Melite“); doch wäre die Angabe eines Demotikons in Weihinschriften vor dem fortgeschrittenen 5. Jahrhundert v. Chr. äußerst ungewöhnlich, vgl. hierzu Catherine M. Keesling: Name Forms on Athenian Dedications of the Fifth and Fourth Centuries B.C. In: Ángel Martínez Fernández (Hrsg.): Estudios de Epigrafía Griega. Serie investigación 1. Servicio de Publicaciones, Universidad de la Laguna, La Laguna 2009, S. 349–356.
- Ingeborg Scheibler: Griechische Künstlervotive der archaischen Zeit. In: Münchner Jahrbuch der Bildenden Kunst. Bd. 30, 1979, S. 7–29.