Annalen von Angers
Als Annalen von Angers (lateinisch Annales Andecavenses) wird ein nicht erhaltenes spätantikes Geschichtswerk in lateinischer Sprache bezeichnet, dessen Existenz indirekt erschlossen werden kann.
Diese Annalen werden nirgendwo ausdrücklich erwähnt, es handelt sich vielmehr um eine Bezeichnung der historischen Forschung für ein gallo-römisches lokalgeschichtliches Werk, das wohl im späten 5. Jahrhundert entstanden ist. Im späten 6. Jahrhundert schildert der Bischof und Geschichtsschreiber Gregor von Tours im 2. Buch seiner Historiae die Kämpfe des abtrünnigen weströmischen Befehlshabers Aegidius und seines Nachfolgers (vielleicht bereits sein Sohn Syagrius) gegen feindliche Westgoten und sächsische Plünderer in den 460er Jahren. In diesem Zusammenhang wird angenommen, dass Aegidius mit dem salfränkischen Kleinkönig Childerich I. kooperierte, aber ebenso möglich ist ein separates Vorgehen beider Anführer, die letztlich auch in einer Zeit Konkurrenten waren, als die weströmische Herrschaft in Gallien kollabierte.[1]
Wohl im Jahr 469 konnte ein Vorstoß der Westgoten von römischen Truppen und Franken unter dem Kommando des ansonsten unbekannten comes Paulus gestoppt werden. Bei der Entsetzung der Stadt Angers, die von sächsischen Plünderern unter Adovacrius angegriffen wurde, fiel Paulus; Childerich konnte anschließend die Stadt einnehmen. Gregor von Tours schreibt dazu:
- „Danach griff Paulus, der römische Befehlshaber, mit den Römern und Franken die Goten an und machte reiche Beute. Als aber Adovacrius nach Angers kam, erschien am Tage darauf auch König Childerich und gewann, nachdem Paulus getötet war, die Stadt. An jenem Tag ging das Kirchenhaus in Flammen auf.“[2]
In der Forschung wurde bereits im 19. Jahrhundert erkannt, dass sich Gregor bei dieser und der folgenden Textstelle[3] auf eine einzige Quelle bezogen haben muss,[4] wie Inhalt und der an dieser Stelle vollkommen andere Stil mit einem parataktischen Satzbau belegen. Ohnehin zog Gregor nicht selten schriftliche zeitgenössische Quellen für Ereignisse heran, wie seine Ausführungen zu den fränkisch-römischen Beziehungen auf Basis der (ebenfalls verlorenen) Werke des Sulpicius Alexander und des Renatus Profuturus Frigeridus belegen.
Beide Textstellen bei Gregor (Historiae 2,18 f.) über die Ereignisse im Loireraum in den 460er Jahren gehen daher im Kern auf eine heute verlorenen Quelle zurück, die sogenannten Annalen von Angers. Diese Zuordnung wird auch in der modernen Forschung akzeptiert und teils besonders hervorgehoben.[5]
Demnach stützte sich Gregor von den Ereignissen der Schlacht bei Orléans (463) bis mindestens zu den Kämpfen um Angers 469/70 auf diese Quelle. Es ist allerdings möglich, dass weitere Aussagen bei Gregor über diese Zeit auf den Annalen basieren. In den Annalen wurden jedenfalls die kriegerischen Auseinandersetzungen in Nordgallien zumindest kurz beschrieben, wobei neben Aegidius und seinem Sohn Syagrius unter anderem Paulus, Childerich und Adovacrius erwähnt wurden. Ebenso wurde aber offenbar auch auf andere lokale Ereignisse eingegangen (wie Seuchen und der Kirchenbrand). Weitere Aussagen über Inhalt und Umfang dieses Werks, das sehr wahrscheinlich einen stark lokalhistorischen Charakter hatte, sind allerdings kaum möglich.[6]
Literatur
- Richard B. Burgess: Annales Andecavenses. In: Graeme Dunphy (Hrsg.): Encyclopedia of the Medieval Chronicle. Band 1. Leiden 2010, S. 54.
- Penny MacGeorge: Late Roman Warlords. Oxford University Press, Oxford u. a. 2002, ISBN 0-19-925244-0, S. 101 ff.
Anmerkungen
- Zu den historischen Hintergründen vgl. David Frye: Aegidius, Childeric, Odovacer and Paul. In: Nottingham Medieval Studies 36, 1992, S. 1–14.
- Gregor von Tours, Historiae 2,18; Übersetzung nach Rudolf Buchner (leicht modifiziert [statt Adovaker die lateinische Originalform]).
- Gregor von Tours, Historiae 2,19.
- Vgl. etwa Wilhelm Junghans: Die Geschichte der fränkischen Könige Childerich und Chlodovech. Göttingen 1857, S. 12 ff.
- Vgl. unter anderem Matthias Becher: Chlodwig I. Der Aufstieg der Merowinger und das Ende der antiken Welt. München 2011, speziell S. 129; David Jäger: Plündern in Gallien 451–592. Eine Studie zu der Relevanz einer Praktik für das Organisieren von Folgeleistungen. Berlin/Boston 2017, S. 158; Penny MacGeorge: Late Roman Warlords. Oxford u. a. 2002, S. 101 ff.
- Vgl. zusammenfassend Richard B. Burgess: Annales Andecavenses. In: Graeme Dunphy (Hrsg.): Encyclopedia of the Medieval Chronicle. Band 1. Leiden 2010, S. 54. Burgess geht davon aus, dass das diesbezügliche Quellenmaterial bei Gregor bis zum Tod des Westgotenkönigs Eurich (484) reicht.