Šamuḫa
Šamuḫa war eine hethitische Stadt und ein wichtiger Kultort der Šawuška im östlichen Anatolien. Sie war die wichtigste Stadt im Oberen Land, zudem war die Stadt de facto die Hauptstadt des Hethitischen Reichs, als dieses, bedingt durch die Kaškäereinfälle, unter Tudḫaliya II. am Rande des Untergangs war.
Lage
Vermutlich ist Šamuḫa mit der archäologischen Stätte Kayalıpınar identisch, die 45 km unterhalb von Sivas am Fluss Kızılırmak liegt. Dafür sprechen die Lage an einem mit Booten befahrbaren Fluss und die Nennung einer Brücke bei Šamuḫa in altassyrischen Texten aus Kültepe.[1] Nach dem Archäologen Andreas Müller-Karpe sprechen verkehrsgeographische Lage sowie die Größe der Stadt von 20ha und die Nähe zum sicher lokalisierten Šarišša für diese Identifizierung. Ein in Kayalıpınar gefundenes Tontafelfragment nennt die Göttin dGAŠAN, eine sumerographische Schreibung für die Göttin Ištar, was im hurritischen Kontext als Šaušga gelesen werden kann. Dadurch kommt Müller-Karpe zum Schluss: „Die Mehrzahl der Indizien spricht somit insgesamt für die Lokalisierung von Samuḫa an diesem Platz.“[2]
Dennoch besteht die Möglichkeit, Šamuḫa an einem anderen Ort am oberen Kızılırmak oder allenfalls auch am oberen Euphrat zu lokalisieren, John Garstang schlägt einen Ort westlich des Euphrat zwischen Pingan und Malatya, oder in Malatya (Melidu) selbst vor.
In der Nachbarschaft von Šamuḫa lagen die noch nicht lokalisierten Orte Battijariga und Arzija.
Geschichte
Während der frühen Karumzeit, war Šamuḫa eine Station (wabartum) der altassyrischen Händler, die sich schließlich zur Handelskolonie (kārum) entwickelte. Der Ort lag an einem Fluss und kontrollierte eine Brücke. Auch ein Palast wird genannt. Im Hethitischen Reich war Šamuḫa ein Verwaltungszentrum und während der hethitischen Großreichszeit auch eine wichtige Kultstadt.
Nachdem die Kaškäer unter Tutḫalija II. Ḫattuša niederbrannten war Šamuḫa vorübergehend die Residenz der Hethiter. Auch Muwatalli II. residierte kurze Zeit in Šamuḫa, bevor er Tarḫuntašša zur neuen Hauptstadt des Hethitischen Reichs bestimmte.[3] Bevor Ḫattušili III. den hethitischen Thron usurpierte, agierte er teilweise von Šamuḫa aus. Sein Gegner Muršili III. floh, nachdem er abgesetzt wurde, nach Šamuḫa und wurde dort festgenommen.
Kultstadt
Das Pantheon von Šamuḫa war stark hurritisch geprägt.[4] Doch wurde in Ritualen von Šamuḫa nicht nur auf hurritisch, sondern auch auf hattisch und im Kult der Göttin Pirinkir sogar auf Babylonisch (hethitisch: pabilili) gesungen und rezitiert.
Nach dem Gebet des Königs Muwattalli II. wurden hier unter anderem der Wettergott des Blitzes und Ḫebat von Šamuḫa (hurritisch: Šamuḫa=ḫi Ḫebat), der Wettergott von Ḫalab und Ḫebat von Ḫalab, Šaušga des Feldes von Šamuḫa sowie Abara von Šamuḫa verehrt.[5] Andere Gottheiten waren die „Göttin der Nacht“, Pirinkir, die „ruhmreiche Sonnengottheit des Feldes“, sowie die Göttin Ḫuwariyanzipa von Šamuḫa. Der Kult von Šamuḫa wurde von weiblichen Gottheiten dominiert.
Der Kult der der „Göttin der Nacht“ (DINGIR GE6, früher auch als „Schwarze Göttin“ gelesen) wurde von Tudḫaliya I. aus dem Land Kizzuwatna eingeführt.[6] Pirinkir ist eine ursprüngliche elamische Göttin, die durch babylonische und hurritische Vermittlung bei den Hethitern bekannt wurde. Sie wurde im Tempel der „Göttin der Nacht“ verehrt. Das Verhältnis zwischen Šaušga von Šamuḫa und Pirnikir sowie der „Göttin der Nacht“ sind nicht klar, da alle drei Formen der ursprünglich mesopotamischen Göttin Ištar sind, wobei die letzteren beiden eindeutig den astralen Aspekt dieser Göttin vertreten, während die Šaušga des Feldes von Šamuḫa den kriegerischen Aspekt vertritt. Die beiden Göttinnen Šaušga und Abara von Šamuḫa wurden auch in der wichtigen Kultstadt Karaḫna verehrt, wo die Stadt unter dem Namen Šapuḫa erscheint.
Muršili II. erneuerte die Kulte in Šamuḫa und ließ in der Stadt einen Tempel errichten, welcher sich zum wichtigsten Šaušga-Heiligtum des junghethitischen Reiches entwickelte. Ḫattušili III. wählte Šaušga von Šamuḫa als seine persönliche Göttin, wodurch ihr Kult an Bedeutung zunahm. In seiner Apologie, worin er die Thronergreifung rechtfertigte, spielt diese Göttin eine entscheidende Rolle, als seine Schützerin und Förderin, und schließlich zur Legitimierung der Usurpation. Von seinen Nachfolgern wurde der Kult weiterhin in hohen Ehren gehalten und sein Sohn Tudḫaliya IV. war als Kronprinz auch Priester in Šamuḫa und reorganisierte auch die Kulte der Stadt.
Abara von Šamuḫa scheint nach Šaušga die zweitwichtigste Gottheit der Stadt gewesen zu sein und wird öfters zusammen mit anderen Stadtgöttinnen in Schwurgötterlisten von hethitischen Staatsverträgen genannt.[7] Möglicherweise stellt das in Kayalıpınar gefundene Relief einer älteren Göttin Abara dar.[8]
Einzelnachweise
- Gojko Barjamovic: A Historical Geography of Anatolia in the Old Assyrian Colony Period; Kopenhagen 2011, ISBN 978-87-635-3645-5, S. 151–154.
- Müller-Karpe: Kayalıpınar in Ostkappadokien. 2000, S. 363.
- Piotr Taracha: Religions of Second Millenium Anatolia; Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-447-05885-8, S. 98.
- Volkert Haas: Geschichte der hethitischen Religion. Brill, Leiden, New York, Köln 1994, ISBN 90-04-09799-6 (Handbuch der Orientalistik. Abt. 1, Bd. 15). S. 578–580.
- Piotr Taracha: Zur Entwicklung des offiziellen Pantheons im Staats- und dynastischen Kult der hethitischen Grossreichszeit; in: Journal of Ancient Near Eastern Religions 5 (2005), 105
- Oğuz Soysal: Zur Chronologie der Götterkreise von Šamuḫa und die „alte Göttin“ in Kayalıpınar; in: Zeitschrift für Assyriologie 109 (2019): 102
- Piotr Taracha: Zur Entwicklung des offiziellen Pantheons im Staats- und dynastischen Kult der hethitischen Grossreichszeit; in: Journal of Ancient Near Eastern Religions 5 (2005), 89–106
- Oğuz Soysal: Zur Chronologie der Götterkreise von Šamuḫa und die „alte Göttin“ in Kayalıpınar; in: Zeitschrift für Assyriologie 109 (2019): 101–109.
Siehe auch
Literatur
- John Garstang: Šamuḫa and Malatia. In: Journal of Near Eastern Studies. 1/4, 1942, S. 450–459.
- John Garstang: Hittite military roads in Asia Minor: a study in Imperial strategy. In: American Journal of Archaeology. 47, 1943, S. 35–62.
- John Garstang, Oliver R. Gurney: The geography of the Hittite empire. British Institute of Archaeology at Ankara, London 1959. (Occasional publications of the British Institute of Archaeology at Ankara 5)
- René Lebrun: Samuha, foyer religieux de l'Empire hittite. (=Publications de l'Institut Orientaliste de Louvain Series Band 11), Peeters, Louvain 1976.
- Andreas Müller-Karpe: Kayalıpınar in Ostkappadokien. Ein neuer hethitischer Tontafelfundplatz. In: Mitteilungen der deutschen Orientgesellschaft. 132, 2000.
- Elisabeth Rieken (Hrsg.): Keilschrifttafeln aus Kayalıpınar 1. Textfunde aus den Jahren 1999–2017. Harrassowitz Verlag 2019. ISBN 978-3-447-11220-8.