Zehnt
Der Begriff Zehnt, Zehent, Zehnter, Zehend, der Zehnte (auch Kirchenzehnter; lateinisch decima [pars], „zehnter Teil“, mittelniederdeutsch teghede) oder Dezem (von lateinisch decem „zehn“[1]) bezeichnet eine etwa zehnprozentige Steuer in Form von Geld oder Naturalien an eine geistliche (etwa Domkapitel, Pfarrkirche) oder eine weltliche (König, Grundherr) Institution.
Eine solche Abgabe war bereits im Altertum in verschiedenen Kulturen nicht nur des Orients bekannt und über das Mittelalter bis in die frühe Neuzeit üblich.
Der Zehnte im Alten Testament
Als einmaliger Akt
Bereits vor dem mosaischen Gesetz (Gen 14,20 ) erhält der König und Hohepriester Melchisedek von Abraham den Zehnten der Kriegsbeute als freiwillige und situationsbedingte einmalige Abgabe:
„Er segnete Abram und sagte: Gesegnet sei Abram vom Höchsten Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, und gepriesen sei der Höchste Gott, der deine Feinde an dich ausgeliefert hat. Darauf gab ihm Abram den Zehnten von allem.“
Nachdem Jakob nachts von der Himmelsleiter geträumt hat, ist er ergriffen von Gottes Zusagen und gibt ihm im Gegenzug ein dreifaches Versprechen, zu dem auch das Verzehnten seiner Erträge gehört:
„Jakob machte das Gelübde: Wenn Gott mit mir ist und mich auf diesem Weg, den ich gehe, behütet, wenn er mir Brot zum Essen und Kleider zum Anziehen gibt, wenn ich wohlbehalten heimkehre in das Haus meines Vaters, dann wird der HERR für mich Gott sein und dieser Stein, den ich als Steinmal aufgestellt habe, soll ein Gotteshaus werden. Von allem, was du mir gibst, will ich dir gewiss den zehnten Teil geben.“
Im mosaischen Gesetz
Das spätere mosaische Gesetz schreibt dann vor, dass die Israeliten dem Herrn einen Zehnten der Ernte und des Viehs geben sollen. Dieser Zehnte war zum Dank für die Gaben Gottes gedacht und für den Unterhalt des Stammes Levi, dem der Tempeldienst zugewiesen war und der deshalb keinen Landbesitz hatte. Die Naturalabgabe konnte auch durch eine Geldgabe ersetzt werden, nur musste der Betrag um ein Fünftel höher sein. Grundsätzlich war der Betrag zum Heiligtum zu bringen, aber in jedem dritten Jahr wurde der Zehnte vor Ort den Leviten und Armen zur Verfügung gestellt.
„Jeder Zehnt des Landes, der vom Ertrag des Landes oder von den Baumfrüchten abzuziehen ist, gehört dem HERRN; er ist etwas Heiliges für den HERRN. Will ein Mann einen Teil seines Zehnten auslösen, muss er ein Fünftel dazuzahlen. Jeder Zehnt an Rind, Schaf und Ziege ist dem HERRN geweiht, jedes zehnte Stück von allem, was unter dem Hirtenstab hindurchgeht.“
Die aaronitischen Priester (Tempeldiener) erhielten direkt nichts vom Zehnten des Volkes. Dafür erhielten sie gemäß Num 18,26 den Zehnten vom Zehnten aus den Händen der Leviten. Daran knüpft die Kritik in Mal 3,10 an. Die Priester hatten es unterlassen, den Folgezehnten in das Haus Gottes zu bringen (wahrscheinlich aufgrund von Korruption), und sie wurden dafür von Gott durch den Propheten Maleachi streng gerügt. Bereits in Neh 13,10 ff. wurde die mangelnde Umsetzung der Zehntengelder-Verwendung und die Zehnthof-Verwaltung kritisiert. Damals sind Leviten und Sänger auf ihren ländlichen Besitz zurückgekehrt, weil sie ihre Löhne nicht erhalten hatten.
„Rede zu den Leviten und sag zu ihnen: Wenn ihr von den Israeliten den Zehnten entgegennehmt, den ich euch von ihnen als euren Erbteil zugewiesen habe, dann gebt davon dem HERRN ein Hebeopfer als Zehnten vom Zehnten!“
Im 5. Buch Mose (Deuteronomium) werden in Dtn 12,6 , Dtn 14,22–29 und Dtn 26,12–15 die Satzungen rund um den Zehnten für das Volk Israel zusammengefasst. In 5. Mose 14,22 ff. wird erwähnt, wovon der Zehnte bezahlt werden sollte: Vom Ertrag von Korn, Wein und Öl sowie von der Erstgeburt der Rinder und Schafe. Empfänger nach 5. Mose 26,12 sind die Leviten, die Ausländer sowie Witwen und Waisen. Der Zehnte hat hier also die Funktion einer geistlichen und weltlichen Abgabe, wobei aus der geistlichen Abgabe auch der Tempelunterhalt sowie das Bildungswesen finanziert wurde. Die Ausgaben für Militär und Sicherheit wurden im alten Israel offenbar nicht aus dem Zehnten des Volkes, sondern vom Staat aus seinen eigenen Zoll- und Markteinnahmen sowie Handelsgewinnen (wie etwa Minen) finanziert.
In 5. Mose 12,6–7 und 5. Mose 14,23 ist ein besonderer Festzehnter erwähnt, der anlässlich einer Pilgerreise nach Jerusalem selbst in Anspruch genommen wurde. Der Festzehnte war keine Abgabe, sondern eine eigene Festtagsrücklage.[2]
„Dorthin sollt ihr eure Brandopfertiere und Schlachtopfertiere bringen, eure Zehnten und das Hebeopfer eurer Hand, was ihr dem HERRN gelobt habt und was ihr freiwillig gebt, und die Erstlinge eurer Rinder, Schafe und Ziegen. Dort sollt ihr vor dem HERRN, eurem Gott, das Mahl halten. Ihr sollt fröhlich sein, ihr und eure Familien, aus Freude über alles, was eure Hände geschafft haben, weil der HERR, dein Gott, dich gesegnet hat.“
Werden die Zehnten so interpretiert, dass der normale Zehnte jedes Jahr erhoben wurde, kommt man mit dem jedes dritte Jahr erhobenen weltlichen Zehnten auf 13 ⅓ Prozent der Einkünfte. Mit dem Festzehnten als interne Rücklage ergibt das zusammen 23 ⅓ Prozent aller Einkünfte. Diese in der Literatur immer wieder vorkommende Schlussfolgerung ist jedoch brüchig: Denn basierend auf Dtn 14,28 wird argumentiert, dass vom Festzehnten jedes dritte Jahr nichts für eigene Zwecke genommen werden solle, weil davon Ausländer, Witwen und Waisen und die Leviten am eigenen Ort leben sollen. Der weltliche Zehnte wird also aus dem Festzehnten generiert.[3] Die Gesamtabgabenlast durch den Zehnten beträgt also 13 ⅓ Prozent, denn das aus dem Festzehnten selbst konsumierte Gut (zwei Drittel des Festzehnten) kann mit Fug nicht als Abgabe bezeichnet werden, sondern als Rücklage innerhalb des Familienbetriebs.
Der Zehnte im Christentum
Teils wird angenommen, im Neuen Testament werde von den Christen kein Zehnter gefordert, sondern nur eine freiwillige Unterstützung armer Mitchristen und armer Gemeinden. Unterstützer einer Interpretation des Zehnts nach mosaischen Vorbild berufen sich auf die Stellen Mt 23,23 und Lk 11,42 , in denen Jesus dieser Argumentation zufolge am Zehnten festhält. Befürworter einer freiwilligen Abgabe berufen sich jedoch auf 2 Kor 9,7 . Der Apostel Paulus zieht hier die freiwilligen Gaben eindeutig den Zwangsabgaben vor.
In der Frühzeit des Christentums forderten verschiedene Kirchenväter von den Gläubigen die Abgabe eines Zehnten. Erstmals gesichert in der Vita Severini als Christenpflicht erwähnt, wurde er 585 erstmals für das Königreich Burgund im Rahmen der Dritten Synode von Macon eingeführt.
Weiter heißt es in einem Schreiben Papst Gregors II. vom 1. Dezember 722 an den hl. Bonifatius:
„Aus den Einkünften der Kirche und den Opfergaben der Gläubigen soll er [Bonifatius] vier Teile machen: Einen davon soll er für sich behalten, den zweiten unter den Geistlichen verteilen, entsprechend ihrem Eifer in der Erfüllung ihrer Pflichten, den dritten Teil soll er an die Armen und Fremden geben, den vierten soll er aber für den Kirchenbau zurücklegen.“
Papst Zacharias schrieb 748 einen Brief an vornehme Franken, in dem der Zehnt als bereits bestehend genannt wurde:
„Was aber die Zehnten der Gläubigen betrifft, die in den Kirchen dargebracht werden, so soll es nicht im Belieben des Gebers liegen, sie zu verteilen. Denn die Satzungen der heiligen Väter bestimmen, dass daraus vom Bischof vier Teile gemacht werden sollen. […] Daraus müssen nämlich die Almosen bereitgestellt werden, daraus muss der Kirchenbau und die Altarausstattung bezahlt werden.“
Zur Zeit Karls des Großen wurde der Kirchenzehnt im Kapitular von Herstal 779 Reichsgesetz, um die fränkische Kirche mit Mitteln zu versorgen.[4] Dies wurde später vollständig im Decretum Gratiani um 1140 geregelt.
Regional unterschiedlich erhielten meist der Bischof, der Pfarrer, die Armen und das Bistum je ein Viertel des Zehnten; ab dem 10. Jahrhundert bekam ein Drittel der Pfarrer und zwei Drittel der Bischof, der daraus die Armenfürsorge leisten und für den Bedarf des Bistums (Sachaufwand, Fabrica ecclesiae) aufkommen musste. In Schweden galt bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts folgende Zehntaufteilung: Ein Drittel bekam der Priester. Die restlichen zwei Drittel wurden dann abermals gedrittelt für Bischöfe, Fabrica ecclesia und Arme.
Durch das Eigenkirchenwesen (Grundherren, z. B. Adlige, besaßen Kirchen zu Eigen) und die Klöster als weltliche Grundherren wurde der Zehnte jedoch oft de facto zur weltlichen Abgabe – der Eigenkirchenherr erhielt zwei Drittel, der Pfarrer ein Drittel. Oft wurde der Zehnte auch verpachtet, und der Pächter bekam die Differenz zwischen dem Zehnten und den tatsächlichen Abgaben.
Der Zehnte im Mittelalter
Entwicklung
Der Zehnt im Mittelalter ist eine auf dem Grund liegende Abgabe in Naturalien, die zunächst direkt an den Pfarrer abzuliefern war, sich aber seit etwa dem Jahr 1000 von der Pfarrorganisation weitgehend getrennt hatte. Aufgrund der geringer gewordenen Sesshaftigkeit der Bevölkerung über längere Zeit hinweg wurde der Zehnt aus praktischen Gründen von einer persönlichen Leistung zu einer an das Grundstück gebundenen Abgabe verwandelt. Dadurch war auch eine Begründung für die spätere Grundstücksteuer und Vermögensteuer gegeben.
Die Empfänger des Zehnten verpachteten das Recht der Zehnterhebung oft, um mit festen Einnahmen rechnen zu können. Die Pächter waren Handelsleute und standen nicht unbedingt nah zur Kirche, sodass diese immer weniger davon sah. Die Pfründen wurden von ihrer ursprünglichen Aufgabe oft sogar dann entfremdet, wenn sie von Klerikern verwaltet wurden. Zur Zeit der Reformation waren 93 Prozent der Pfründen nicht bei einer Pfarrei angesiedelt. Die daraus resultierende Verdrossenheit der Bevölkerung war ein Nährboden für die Bauernaufstände und die Reformation im 16. Jahrhundert.[5] Auch der Diözesan- und Ordensklerus war, soweit nicht als exemt anerkannt, zehntpflichtig und besonders über wiederkehrende Papstzehnte empört.[6]
Abgabeformen
Das Decretum Gratiani zeichnet eine Modellvorstellung des Zehnten. In der Rechtswirklichkeit kann er sich in eine Vielzahl von Teilabgaben aufteilen. Der Zehnt ist in den Quellen zumeist als eine unabhängig von der Erntemenge festgelegte Abgabe dokumentiert.[7] Er lag je nach Region und Bodenqualität zwischen 30 Prozent und ca. 10 Prozent der Ernte.
In Europa wurden zur Aufbewahrung in den Dörfern spezielle große Scheunen, die Zehntscheunen (im alemannischen Sprachraum „Zehntscheuern“), gebaut, die vielfach nach der Kirche die größten Bauwerke eines Dorfes darstellten. Der Pfarrer oder ein eigener Zehentner hoben den Zehent ein, wobei dieser meist vom Zehentholden selbst an einem Sammelpunkt wie dem Wirtschaftshof der Pfarre oder dem Zehnthof abzuliefern war. Zehntpflichtige Orte oder Höfe wurden auch als Zehntbesitz bezeichnet. Der Zehntbesitz wurde meist durch Kauf, Stiftung oder Schenkung erworben. Ein einzelnes Kloster, wie Ebstorf in der Lüneburger Heide, konnte über 60 Dörfer im Zehntbesitz haben. Im Mittelalter wurde der aus dem Alten Testament stammende Zehnt erweitert. Man unterschied zwischen Großzehnt und Kleinzehnt:
- Der Großzehnt war analog der Bibel auf Getreide und meist Großvieh zu entrichten.
- Der Kleinzehnt war zusätzlich auf andere Feldfrüchte als Fruchtzehnt (Küchenkräuter, Obst, Gemüse) und Kleinvieh zu entrichten. Was genau kleinzehntpflichtig war, war örtlich unterschiedlich.
Daneben entwickelten sich weitere Zehntarten, die ebenfalls von Ort zu Ort unterschiedlich erhoben wurden:
- der Weinzehnt (auch „nasser Zehnten“) auf gekelterte Weine
- der Heuzehnt auf geerntetes Heu
- der Holzzehnt auf geschlagenes Holz
- der Fleisch- alias Blutzehnt auf geschlachtete Tiere oder Tierprodukte wie Fleisch, Eier und Milch
- der Neubruchzehnt oder Novalzehnt (auch Rottzehnt, Rodezehnt oder Reutezehnt, in der Schweiz ebenso „Neugrützehnt“) auf Neubruch, das heißt auf neugewonnenes, durch Rodung für den Ackerbau nutzbar gemachtes Land
- der Etterzehnt, der auf Erträge von Gärten und Feldern innerhalb des Etters erhoben wurde,[8][9]
- der Bergzehnt im Bergbau
- der Kreuzzugszehnt, eine zeitlich befristete Abgabe zur Finanzierung eines Kreuzzugs
Abschaffung des Zehnten
Nach der Reformation wurde der Zehnte in protestantischen Gebieten der Schweiz verstaatlicht – im Ausgleich dazu übernahm der Staat die finanzielle Verantwortung für die Kirchen. Das Gleiche gilt für die skandinavischen Länder unter der Herrschaft Christians III. von Dänemark und Norwegen.
In der Schweiz wurde der Zehnt ab 1798 als Folge des Einmarsches der Franzosen unter Napoleon Bonaparte und der von ihm eingerichteten Helvetischen Republik abgeschafft. Um die weggefallenen Feudalabgaben und die Sonderbelastungen des Krieges auszugleichen wurde die bisher einzige zentralistische Steuergesetzgebung der Schweiz eingeführt. Damit wollte man die von den Franzosen geplünderten Staatskassen, die französischen Besatzungskosten und Kriegssteuern sowie den für die Schweiz ungewöhnlich großen Staatsapparat finanzieren. Die an Frankreich entrichteten Gelder wurden größtenteils zur Finanzierung des Ägyptenfeldzugs verwendet. Die zunehmende Finanznot des Staates führte dazu, dass die Zehnten ab 1802 wieder zu entrichten waren, in einzelnen Regionen bereits früher.[10][11]
Auch in Deutschland hielt sich der Zehnte noch bis ins 19. Jahrhundert. In vielen Fällen war die Abschaffung des Zehnten mit einer Ablösesumme verbunden, die oft zu starker und langer Verschuldung der Bauern führte, wie beispielsweise in der Zehntablösung in Baden. Um das nötige Geld zur Verfügung zu stellen, wurden die Sparkassen gegründet, zum Beispiel die Nassauische Landes-Credit-Casse (als Vorgängerin der Nassauischen Sparkasse) zur Zehntablösung in Nassau.
Der Zehnte heute
Die großen Kirchen in Deutschland ziehen über die Finanzämter Kirchensteuern ihrer Mitglieder ein. Die Kirchensteuer steht aber nicht in rechtlicher Folge des Zehnten, sie beträgt in Baden-Württemberg und Bayern 8 %, in den übrigen Bundesländern 9 % der Einkommensteuer bzw. Lohnsteuer. Bei der Berechnung der maßgebenden Kirchensteuer/Lohnsteuer werden allerdings für Kinder grundsätzlich Kinderfreibeträge abgezogen.
Anders als die Landeskirchen lassen die Freikirchen keine Kirchensteuern vom Staat einziehen. Sie finanzieren sich durch direkte Zuwendungen der Mitglieder. Viele Freikirchen erwarten von ihren Mitgliedern den Zehnt als freiwillige Abgabe. Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, ob der Zehnt vom Brutto oder vom Nettolohn zu berechnen ist. Meist fordern die liberaleren Freikirchen den Zehnt vom Nettolohn, konservativere Freikirchen den Zehnt vom zu versteuernden Einkommen und radikale Freikirchen verlangen den Zehnt vom Bruttolohn.
Publizistisch nicht aufgearbeitet scheint die Frage zu sein, was die Vorbedingungen einer freikirchlichen Gemeinde sind, um eine Zehntenberechtigung apriori beanspruchen zu dürfen: Braucht eine Kirche ein Parlament? Muss in den Statuten das Verhältnis zwischen innerkirchlicher Demokratie und Aristokratie in Abwehr gegenüber Autokratie und Oligarchie geregelt sein (etwa das Hananias-und-Saphira-Problem)? Benötigt eine Gemeinde eine unabhängige Rechnungsprüfung? Muss die Gemeinde den Vorstand bestellen oder darf das auch ein leitender Ausschuss tun? Welche Rechtsformen sind zulässig? Muss die Dorfgemeinde oder der Quartierverein von der Kirchgemeinde abgegrenzt sein? Braucht es einen Anschluss an ein interkirchliches Frühwarnsystem im Bereich Korruptionsbekämpfung und ab welcher Größe?
In der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen) wird verlangt, dass jeder gemäß seinem Gewissen festlegt, was er als sein Einkommen, seinen Gewinn oder Ertrag betrachtet. Er ist verpflichtet, davon ein Zehntel für das Werk des Herrn zur Verfügung zu stellen.[12]
Auch in vielen evangelischen Freikirchen wird die Bereitschaft zur Spende des Zehnten gewissensabhängig gesehen; deren Zahlung ist erwünscht, wird aber nicht explizit eingefordert, sondern es wird hingewiesen, dass die Finanzierung auf Spendenbasis erfolgt und daher jeder selbst entscheiden sollte, wie viel ihm das wert ist (siehe dazu Kirchgeld).
Der Zehnte im Islam
Ein islamisches Gegenstück zum Zehnten ist der sogenannte ʿUschr (arabisch عشر, DMG ʿušr ‚Zehntel‘).[13] Er soll bereits von Mohammed eingeführt worden sein. So wird zum Beispiel überliefert, dass Mohammed nach der Bekehrung des arabischen Stamms der Chathʿam denjenigen Angehörigen des Stammes, die durch Bäche bewässerte Felder besaßen, den zehnten Teil ihrer Ernte als Steuer auferlegte. Diejenigen, die dagegen durch Röhren bewässerte Felder besaßen, mussten nur die Hälfte dieses Betrages zahlen.[14] Allgemein wurde später die Regel festgeschrieben, dass landwirtschaftliche Flächen, die durch Regen oder durchgehend wasserführende Ströme bewässert wurden, mit dem ganzen ʿUschr belegt wurden, bei der Notwendigkeit künstlicher Bewässerung dagegen nur der halbe ʿUschr entrichtet werden musste.[15] Der ʿUschr galt als Teil der Zakāt. Im vorkolonialen Marokko wurde der ʿUschr in den „Ländern des Machzen“ vom Sultan und außerhalb von einem Verbündeten des Sultans mit dessen Erlaubnis erhoben.
Nachdem der ʿUschr in den meisten islamischen Ländern im Zuge der Modernisierung abgeschafft wurde, hat man ihn in Pakistan 1980 im Rahmen der Reislamisierungspolitik unter General Mohammed Zia-ul-Haq wieder eingeführt.[16] Die Zakat and 'Ushr Ordinance vom Juli 1980 bestimmt in Art. 5, dass auf alle landwirtschaftlichen Flächen ʿUschr in Höhe von 5 Prozent zu entrichten ist. Es wird also nur die Zahlung des verminderten ʿUschr-Satzes verlangt. Der ʿUschr muss in Bargeld entrichtet werden, bei Weizen und Reis kann die Zahlung aber auch in Naturalien geleistet werden.[17]
Siehe auch
Literatur
- Constanze Hacke: Der Zehnte – ein Streifzug durch die Steuergeschichte, in: Informationen zur politischen Bildung – Steuern und Finanzen, Heft 288 (2012), S. 12–21 (Volltext).
- Rudolf Harrer: Der kirchliche Zehnt im Gebiet des Hochstifts Würzburg im späten Mittelalter: systematische Analyse einer kirchlichen Einrichtung im Rahmen der Herrschaftsstrukturen einer Zeit. (Forschungen zur fränkischen Kirchen- und Theologiegeschichte Band 15) Echter, Würzburg 1992, ISBN 3-429-01414-X.
- Andreas Ineichen: Zehnt. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- E.O.Kuujo: Das Zehntwesen in der Erzdiözese Hamburg-Bremen bis zu seiner Privatisierung Helsinki 1949. Annales Academiae Scientiarum Fennicae. Bd. 62,1
- Michael Jursa: Der Tempelzehnt in Babylonien: vom siebenten bis zum dritten Jahrhundert v. Chr. Münster: Ugarit-Verlag, 1998. (Alter Orient und Altes Testament Band 254). ISBN 3-927120-59-6.
- T. Sato: Art. „ʿUshr“ in The Encyclopaedia of Islam. New Edition Bd. X, S. 917a-919a.
- Richard Puza, Thomas Riis: Zehnt. In: Lexikon des Mittelalters (LexMA). Band 9. LexMA-Verlag, München 1998, ISBN 3-89659-909-7, Sp. 499–502.
- Jakob Stark: Zehnten statt Steuern: das Scheitern der Ablösung von Zehnten und Grundzinsen in der Helvetik: eine Analyse des Vollzugs der Grundlasten- und Steuergesetze am Beispiel des Kantons Thurgau. Dissertation. Chronos, Zürich 1993, ISBN 3-905311-17-8.
- Margit Freifrau von Wintzingerode: Das Zehntwesen im Hochstift Bamberg und Amt Pottenstein vom 15. bis 19. Jahrhundert. Burg Pottenstein: Selbstverlag – Freiherr von Wintzingerodesche Burgverwaltung 1990.
- Elisabeth Wyder-Leemann, Samuel Wyder-Leemann: Der Zehntenplan des Zürichbergs von Hans Rudolf Müller, 1682. In: Cartographica Helvetica, Heft 5 (1992), S. 21–29 (Volltext).
Weblinks
- Rainer Kessler: Zehnter. In: Michaela Bauks, Klaus Koenen, Stefan Alkier (Hrsg.): Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex), Stuttgart 2006 ff.
Einzelnachweise
- Dezem auf wissen.de
- Rudolf H. Edenharder: Der Zehnte in der Bibel und in Freikirchen. Dogma, Tabu und die Folgen. Glory World Medien, Bruchsal 2009, ISBN 978-3-936322-41-5, S. 44.
- Rudolf H. Edenharder: Der Zehnte in der Bibel und in Freikirchen. Dogma, Tabu und die Folgen. Glory World Medien, Bruchsal 2009, ISBN 978-3-936322-41-5, S. 45.
- Volker Pribnow: Die Rechtfertigung obrigkeitlicher Steuer- und kirchlicher Zehnterhebung bei Huldrich Zwingli. (= Zürcher Studien zur Rechtsgeschichte. Band 34). (Zugl.: Zürich, Univ., Diss., s. a.) Schulthess Polygraphischer Verlag, Zürich 1996, ISBN 3-7255-3501-9, S. 36.
- Volker Pribnow: Die Rechtfertigung obrigkeitlicher Steuer- und kirchlicher Zehnterhebung bei Huldrich Zwingli. (= Zürcher Studien zur Rechtsgeschichte. Band 34). (Zugl.: Zürich, Univ., Diss., s. a.) Schulthess Polygraphischer Verlag, Zürich 1996, ISBN 3-7255-3501-9, S. 36–38.
- Beispiel eines literarischen Protests bei Udo Kindermann, Bruno episcopus, Pater fili spiritus, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 128 (2011), S. 375–383
- Otto Volk: Wirtschaft und Gesellschaft am Mittelrhein. Historische Kommission für Nassau, Wiesbaden 1998, ISBN 3-930221-03-9
- Herder: Archiv für elsässische Kirchengeschichte, Band 8, 1933, S. 46
- Etterzehnt. In: Deutsches Rechtswörterbuch. Band 3, Heft 3 (adw.uni-heidelberg.de).
- Lucas Chocomeli: Jakobiner und Jakobinismus. Wirken und Ideologie einer radikalrevolutionären Minderheit 1789–1803. Verlag Peter Lang, Bern 2006, ISBN 3-03910-850-6
- Ingrid Brühwiler: Finanzierung des Bildungswesens in der Helvetischen Republik. Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn 2014, ISBN 978-3-7815-1957-2
- Verkündet mein Evangelium, S. 92, Intellectual Reserve Inc. (2004), beschreibt, wie der Zehnte bezahlt wird.
- Vgl. Sato: Art. „ʿUshr“ in EI² Bd. X, S. 917a-919a.
- Vgl. Aloys Sprenger: Das Leben und die Lehre des Moḥammad, nach bisher grösstentheils ungenutzten Quellen. 2. Ausg. Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin, 1869. Bd. III, S. 469 (Digitalisat) und Leone Caetani: Annali dell'Islam Bd. II, S. 330 (ita., Digitalisat)
- Vgl. Sato: Art. „ʿUshr“ in EI² Bd. X, S. 917b.
- Vgl. Grace Clark: „Pakistan's Zakat und 'Ushr as a Welfare System“ in Anita Weiss: Islamic Reassertion in Pakistan. The Application of Islamic Laws in a Modern State. Syracuse University Press, Syracuse, 1986. S. 79–96.
- Vgl. Zakat and 'Ushr Ordinance, 1980 Art. 5.