Widerspruch (Dialektik)
Der Begriff Widerspruch und der damit verwandte Begriff Antagonismus (Neologismus aus altgriechisch ἀντί antí „gegen“ und ἀγωνισμός agonismós „Wettstreit“) sind philosophische Termini der Hegelschen wie auch der marxistischen Dialektik. Im Kontext der Dialektik wird der Begriff allerdings nicht im Sinne des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch der traditionellen und der formalen Logik verwendet, sondern im Sinne sich polar gegenüberstehender Gegensätze. Widersprüche können zwischen materiellen und ideellen Erscheinungen bestehen, also zwischen Begriffen, Ideen und Aussagen, aber auch zwischen historischen Kräften, gesellschaftlichen Klassen, Tendenzen und Entwicklungen.
Verwendung bei Hegel
Für Hegel, dessen Widerspruchslehre an die gesamte Philosophiegeschichte anknüpft, ist die geistige, gesellschaftliche und natürliche Welt von einer Idee beherrscht, die sich entwickelt und von der menschlichen Vernunft erkannt werden kann. In jeder Phase der Entwicklung gibt es zunächst einen Widerspruch, der durch die Bewegung der Sache entsteht und der seine Lösung in einem neuen Zustand der Idee findet. Hegel fasst die Bewegung selbst als den daseienden Widerspruch auf. Er beschreibt ihn metaphorisch in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes als das zur Veränderung führende Moment einer sich entwickelnden Pflanze. Durch die dialektische Bewegung der Vernunft wird der Widerspruch, beziehungsweise ist er immer schon in dem Absoluten aufgehoben. Hegels spekulativer Ansatz versteht sich als Darstellung der Idee des Geistes, die sich durch die Widersprüche hindurch entwickelt.
Verwendung bei Marx
Karl Marx und seine Nachfolger übernahmen den Hegelschen Begriff und wandten die Dialektik Hegels auf materialistischer Grundlage als Forschungs- und Darstellungsmethode für gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse an (vgl. Dialektischer Materialismus und Historischer Materialismus). Besonders bekannt ist der Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital und der zwischen Gebrauchswert und Wert einer Ware, der in der Wertformanalyse des ökonomischen Hauptwerkes von Marx "Das Kapital" eine grundlegende Rolle spielt. Marx verwendete den Begriff „Widerspruch“ nicht im Sinne des formal-logischen Satzes vom Widerspruch, sondern ebenso wie seine Nachfolger im Sinne von „Gegensatz“, auch Feindschaft der sozialen Klassen im Klassenkampf und in der Revolution.
Sonstiges
Es gibt auch Ansätze, Aufhebung von Widersprüchen anders auszudrücken oder zu formalisieren:
- Der Quantenphysiker Niels Bohr sagt: „Contraria sunt complementa.“ (etwa: „Gegensätze ergänzen einander.“) – Siehe auch Komplementäre Observablen.
- Gotthard Günther hat zur Dialektik von Widersprüchen mit einer „mehrwertigen Logik“ eine Formalisierung durchgeführt.
Siehe auch
- Ambivalenz
- Dualismus (Dualität)
Literatur
- Ulrich Steinvorth: Eine analytische Interpretation der Marxschen Dialektik. Meisenheim 1977, ISBN 3-445-01441-8.
- Hermann Vetter: Die Stellung des Dialektischen Materialismus zum Prinzip des ausgeschlossenen Widerspruchs. Der Meiler, Berlin 1962.
- Dieter Wolf: Zum »Hegelschen Widerspruch«, dem »Springquell aller Dialektik« und zum dialektischen Widerspruch zwischen dem Gebrauchswert und dem Wert, dem Springquell der Kritik der politischen Ökonomie.(146 KB PDF) In: Der dialektische Widerspruch im Kapital. Ein Beitrag zur Marxschen Werttheorie, Hamburg 2002, ISBN 3-87975-889-1.
- Dieter Wolf: Zum Unterschied zwischen dialektischem und logischem Widerspruch. (PDF)
- Dieter Wolf: Der Begriff des dialektischen Widerspruchs in Marx‘ Kritik des Hegelschen Staatsrechts.(263 KB PDF) In: Der dialektische Widerspruch im Kapital. Ein Beitrag zur Marxschen Werttheorie, Hamburg 2002, ISBN 3-87975-889-1.
- Wolfgang Fritz Haug: Antagonismus (PDF), in: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus, Band 1, Argument-Verlag, Hamburg 1994, ISBN 3886194310, Sp. 297–309.