Weltraumtourismus
Als Weltraumtourismus werden Vergnügungs- oder Studienreisen in den Weltraum bezeichnet.
Bislang besuchten Weltraumtouristen für ein bis zwei Wochen die Internationale Raumstation (ISS), absolvierten suborbitale Flüge und mehrtägige Orbitalflüge. Eine Umrundung des Monds ist geplant.
Geschichte
1964 kam die damalige US-Fluglinie Pan American dem Wunsch des österreichischen Journalisten Gerhart Pistor nach, ein Ticket zum Mond zu buchen, und entwarf einen Plan zur Aufnahme von touristischen Weltraumflügen bis zum Jahr 2000. Sie eröffnete sogar eine Warteliste für potenzielle Passagiere, welche bis 1989 auf 93.000 Interessenten anwuchs.[1][2][3] Auch in dem Film 2001: Odyssee im Weltraum aus dem Jahre 1968 werden solche Weltraum-Linienflüge detailreich dargestellt. Doch 1991 wurde PanAm liquidiert und ihre Planungen zu Makulatur.
1997 griff das Tourismusunternehmen Thomas Cook mit dem Projekt „Moon Register“ die Idee einer kostenlosen Warteliste für Pauschalreisen zum Mond wieder auf.[4] Auftrieb erhielt die Idee zudem durch die am 25. Juli 1998 von der NASA erstellte Studie General Public Space Travel and Tourism.
Allgemein wird die Reise von Dennis Tito zur ISS vom 28. April bis zum 6. Mai 2001 als die Geburtsstunde des Weltraumtourismus gewertet. Der zweite Weltraumtourist war Ubuntu-Erfinder Mark Shuttleworth, der am 25. April 2002 als erster Südafrikaner ins All startete und die ISS besuchte. Beide bezahlten für ihren Flug mit dem russischen Sojus-Raumschiff etwa 20 Millionen US-Dollar. Am 1. Oktober 2005 startete der US-Amerikaner Gregory Olsen, Unternehmer der Sensor Unlimited Inc., mit einem Sojus-Raumschiff zur ISS. Zuerst wurde er nach medizinischen Tests für den Flug nicht zugelassen, später aber erhielt er die Genehmigung. Als erste Weltraumtouristin startete die gebürtige Iranerin Anousheh Ansari am 18. September 2006 mit einem Sojus-Raumschiff zur ISS. Sie zahlte 2006 rund 16 Millionen Euro für ihren Raumflug.[5] Der Kinodokumentarfilm Space Tourists zeigt ihre Flugvorbereitungen. Charles Simonyi ist der einzige Weltraumtourist, der zweimal geflogen ist (25 bzw. 35 Millionen US-Dollar). Auch der russische Unternehmer Sergei Jurjewitsch Polonski aus Sankt Petersburg plante einen Flug zur ISS.
Eine Stimulation für privatwirtschliche Weltraumflüge gab es durch die 1996 erfolgte Ausschreibung des Ansari X-Prize. Dieser belohnte den ersten von einem privaten Betreiber verwirklichten bemannten Raumflug mit zehn Millionen US-Dollar. Am 21. Juni 2004 fand mit dem Raumfahrzeug SpaceShipOne, das allein aus privaten Mitteln geplant und gebaut worden war, der erste bemannte Suborbitalflug statt. Erklärtes Ziel der Entwickler ist es, den Weltraum für Touristen zu einem einigermaßen erschwinglichen Preis zugänglich zu machen.
Trainingseinheiten für angehende Weltraumtouristen, beispielsweise Testflüge mit Raumschiffsimulatoren oder Parabelflüge, werden im Juri-Gagarin-Kosmonautentrainingszentrum im Sternenstädtchen bei Moskau sowie von verschiedenen Anbietern in den USA kommerziell angeboten.
Im März 2004 beschloss das US-Repräsentantenhaus, dass Privatunternehmen künftig schneller Genehmigungen für Tests mit Raumschiffen für kommerzielle Flüge ins Weltall bekommen sollen. Die staatliche Flugaufsichtsbehörde FAA sollte den Weltraumtourismus künftig überwachen und Anforderungen für die Qualifikation der Raumfahrtcrews festlegen. Das Gesetz musste noch im US-Senat verabschiedet werden.
Anbieter
Uneingeschränkter Marktführer für Weltraumtourismus war anfangs die Firma Space Adventures. Dieses Unternehmen vermittelte als Dienstleister alle sieben Weltraumtouristen, die bis Ende der 2000er-Jahre geflogen sind, dazu zwei weitere Touristen im Dezember 2021. Die Flüge wurden von der staatlichen russischen Raumfahrtagentur Roskosmos an Bord von Sojus-Raumschiffen durchgeführt. Außerdem plant das Unternehmen einen Flug in eine niedrige Erdumlaufbahn für bis zu vier Personen mit dem Raumschiff Crew Dragon von SpaceX.[6]
Ebenfalls mit gecharterten Crew Dragon möchte Axiom Space ab 2022 Touristen zur ISS bringen. Außerdem plant das Unternehmen den Anbau einer eigenen Raumstation an die ISS.[7] Axiom arbeitet bei diesen Projekten mit der NASA zusammen.
Die Firma Virgin Galactic des britischen Unternehmers Richard Branson wurde eigens zum Zwecke des Weltraumtourismus gegründet. Nach eigenen Angaben konnte das Unternehmen bereits 7000 Interessenten für einen suborbitalen Flug zum Preis von rund 200.000 US-Dollar und mehr als 500 Buchungen vorweisen. Branson kündigte 2006 an, ab 2008 Linienflüge ins Weltall anzubieten und durchzuführen,[8] was für einen späteren Zeitpunkt nach wie vor geplant ist. Vorerst sollen nur kurze Flüge mit dem Raumgleiter SpaceShipTwo an die Grenze zum Weltraum erfolgen.
Auch das US-Raumfahrtunternehmen Blue Origin bietet Suborbitalflüge an. Es entwickelte dafür die wiederverwendbare Rakete New Shepard, die eine Raumkapsel für kurze Zeit auf eine Höhe über 100 Kilometer bringt. Das System steht seit 2021 für Touristen zur Verfügung.[9]
Der Crew-Dragon-Hersteller SpaceX bietet das Raumschiff auch direkt für touristische Flüge an; die erste dieser mehrtägigen Kurzreisen fand im September 2021 mit der Mission Inspiration4 statt. Außerdem plant SpaceX unter dem Projektnamen Dear Moon einen bemannten Flug zum Mond mit dem Raumschiff Starship, welches noch in Entwicklung ist. Als Startdatum wird 2023 anvisiert. Im September 2018 präsentierte SpaceX den japanischen Unternehmer Yusaku Maezawa als Sponsor dieser Mission. Maezawa wird nicht nur selbst am Mondflug teilnehmen, sondern auch mehrere Künstler mit unterschiedlichen Hintergründen dazu einladen. Die Werke, die sie anschließend schaffen, sollen „den Träumer in uns allen wecken“.[10]
Aufgegebene Projekte
Die EADS-Tochter Astrium Space Transportation entwarf seit 2006 ein Business-Jet-ähnliches Raumschiff, das einen Piloten und vier Passagiere auf 100 km Höhe bringen sollte. Der Flug selber sollte etwa zwei Stunden dauern, bei mehreren Minuten Schwerelosigkeit. Astrium rechnete damit, dass die ersten kommerziellen Flüge etwa sieben Jahre nach Sicherung der Finanzierung möglich gewesen wären.[11] Kritiker warfen EADS vor, das Rocketplane-Konzept des Konkurrenten Rocketplane Limited, Inc. kopiert zu haben. Dieser baute bis Ende 2007 an einem sehr ähnlichen Raumschiff auf Basis eines Learjet, musste es jedoch wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten aufgeben.[12] Österreichische Penny-Markt-Filalen boten 2010 orbitale Pauschalreisen im Vorverkauf an. Die Flüge sollten durch Rocketplane durchgeführt werden, jedoch konnte dies die im selben Jahr eintretende Insolvenz des Unternehmens nicht aufhalten.[13]
Die Firma Bigelow Aerospace arbeitete an der Entwicklung eines Weltraumhotels. Ein erster Testsatellit mit Namen Genesis 1 wurde am 12. Juli 2006 gestartet; außerdem ist das Modul BEAM seit April 2016 an der ISS im Test. Es waren auch touristische Flüge zur ISS zum Preis von 52 Millionen US-Dollar pro Person geplant; Bigelow wollte dafür bei SpaceX das Raumschiff Crew Dragon chartern.[14][15] Die Durchführung habe sich aber wegen der vielen an der ISS beteiligten Organisationen als zu kompliziert erwiesen.[16] Wenig später stellte Bigelow den Betrieb ein;[17] neuer Partner der NASA für touristische ISS-Aufenthalte war mittlerweile Axiom Space.
Noch vor 2020[18] wollte das russische Unternehmen RKK Energija in Kooperation mit Space Adventures Flüge um den Erdmond mit einem modifizierten Sojus-Raumschiff für 150 Millionen US-Dollar anbieten. Das Projekt hieß DSE-Alpha. Die Besatzung sollte aus einem professionellen russischen Kosmonauten und zwei Touristen bestehen; der Flug eines einzelnen Touristen wäre laut RKK Energija nicht profitabel.[19] Im Jahr 2014 wurden Verträge mit zwei potentiellen Touristen abgeschlossen.[20]
Liste der orbitalen Weltraumtouristen
Name | Staat | Startdatum | Ziel | Hinflug mit | Rückflug mit | Flugdauer |
---|---|---|---|---|---|---|
Dennis Tito | 28. Apr. 2001 | ISS | Sojus TM-32 | Sojus TM-31 | 7d 22h 4min | |
Mark Shuttleworth | 25. Apr. 2002 | ISS | Sojus TM-34 | Sojus TM-33 | 9d 21h 25min | |
Gregory Olsen | 1. Okt. 2005 | ISS | Sojus TMA-7 | Sojus TMA-6 | 9d 21h 7min | |
Anousheh Ansari | 18. Sep. 2006 | ISS | Sojus TMA-9 | Sojus TMA-8 | 10d 21h 4min | |
Charles Simonyi | 7. Apr. 2007 | ISS | Sojus TMA-10 | Sojus TMA-9 | 13d 19h 0min | |
26. März 2009 | ISS | Sojus TMA-14 | Sojus TMA-13 | 12d 19h 27min | ||
Richard Garriott | 12. Okt. 2008 | ISS | Sojus TMA-13 | Sojus TMA-12 | 11d 20h 36min | |
Guy Laliberté | 30. Sep. 2009 | ISS | Sojus TMA-16 | Sojus TMA-14 | 10d 21h 18min | |
Jared Isaacman | 16. Sep. 2021 | LEO | Inspiration4 | 2d 23h 4min | ||
Hayley Arceneaux | ||||||
Sian Proctor | ||||||
Chris Sembroski | ||||||
Yusaku Maezawa | 8. Dez. 2021 | ISS | Sojus MS-20 | 12 d[21] | ||
Yozo Hirano | ||||||
Geplante Flüge | ||||||
Larry Connor | März 2022[22] | ISS | Axiom Mission 1 | ca. 10 d[23] | ||
Mark Pathy | ||||||
Eytan Stibbe | ||||||
Jared Isaacman | frühestens Q4 2022[24] |
LEO | Polaris Dawn | ≤ 5 d | ||
Scott Poteet | ||||||
Sarah Gillis | ||||||
Anna Menon |
Weblinks
- Auf ins All! – Artikel von Technology Review, vom 2. Juli 2007
- Ganz in Weiß ins All – Branson stellt Pläne für Raumschiff vor (tagesschau.de-Archiv) – Artikel von Tagesschau.de, vom 29. September 2006
- Space Tourists – Dokumentarfilm von Christian Frei; 2009
- Star-Architekt Foster entwirft ersten Weltraum-Flughafen – Artikel von Heise online, vom 6. September 2007
- Tollkühne Männer in ihren fliegenden Kisten – Artikel von Raumfahrer.net, vom 6. Juli 2003
Einzelnachweise
- Mufson, Steven: Pan Am Still Plans Moon Flight, And 93,000 Are on Waiting List. Artikel aus der Washington Post vom 21. Juli 1989.
- PressReader.com - Zeitungen aus der ganzen Welt. In: PressReader. Abgerufen am 3. August 2019.
- Sam Blum: When Pan Am Promised to Fly Us to the Moon. In: Popular Mechanics. 28. Februar 2019, abgerufen am 3. August 2019.
- Marc Bielefeld: Das Geschäft mit dem Mond. In: Die Tageszeitung: taz. 27. Dezember 1997, ISSN 0931-9085, S. 15 (taz.de [abgerufen am 13. Januar 2021]).
- Anousheh Ansari wird erste Iranerin im All. In: Planet Persia: „Das außerirdische Vergnügen kostet sie etwa 20 Millionen Dollar (15,7 Millionen Euro).“
- Space Adventures Announces Agreement with SpaceX to Launch Private Citizens on the Crew Dragon Spacecraft. Pressemeldung von Space Adventures, 18. Februar 2020.
- Twitter-Nachricht von Axiom Space, 31. Januar 2020.
- Space travel will take off in five years, travel boss says, 9. August 2006.
- Michael Sheetz: Jeff Bezos’ Blue Origin aims to fly first passengers on its space tourism rocket as early as April. CNBC, 14. Januar 2021.
- Chris Gebhardt: SpaceX announces BFR lunar passenger, mission for Earth’s artists. nasaspaceflight.com, 17. September 2018, abgerufen am 18. September 2018 (englisch).
- Spaceplane – Rocketing into the future. Astrium, archiviert vom Original am 7. August 2011; abgerufen am 5. Februar 2013 (englisch).
- Michael Belfiore: It's a Rocket! It's a Plane! It's...Rocket Plane! Popular Science, 8. Januar 2006, abgerufen am 5. Februar 2013 (englisch).
- Silvia Liebrich: Weltraumflug beim Discounter. Pauschalreise ins All. In: Süddeutsche Zeitung. 17. Mai 2010, abgerufen am 13. Januar 2021.
- Bigelow Space Operations Announces it has Reserved up to Four Dedicated SpaceX Launches to the International Space Station. Bigelow Space Operatioons, 7. Juni 2019, abgerufen am 11. Juni 2019.
- Jeff Foust: NASA releases ISS commercialization plan. In: Spacenews. 7. Juni 2019, abgerufen am 11. Juni 2019.
- Loren Grush: Bigelow’s next-generation inflatable space habitat is shooting for the Moon. The Verge, 13. September 2019.
- Jeff Foust: Bigelow Aerospace lays off entire workforce. Spacenews, 23. März 2020.
- Space Adventures: Circumlunar Mission. Archiviert vom Original am 18. Oktober 2017; abgerufen am 16. Oktober 2017 (englisch): „We expect our first mission to launch before the end of the decade.“
- „Nowosti Kosmonawtiki“: News (Memento vom 22. August 2006 im Internet Archive) (russisch), 10. August 2006.
- RKK Energia can fly tourists around Moon in about three years – Lopota. Interfax, 2. Juni 2014, abgerufen am 3. Juni 2014 (englisch).
- Japanese billionaire, Russian actress to fly to ISS. Spacenews, 13. Mai 2021.
- NASA Launch Schedule, abgerufen am 15. Februar 2022.
- Training of first private crew to go to the ISS will begin soon, say Axiom Space and NASA. AFP-Meldung vom 11. Mai 2021 in Tech2.
- SpaceX and Isaacman to partner on series of crewed Dragon and Starship flights. Spacenews, 14. Februar 2022.