Wahlmonarchie
Wahlmonarchie bezeichnet eine Monarchie, deren Herrscher nicht durch Erbfolge, sondern durch eine Wahl bestimmt wird.
Historische Wahlmonarchien
Heiliges Römisches Reich
Nach dem Tod von Ludwig dem Kind, dem letzten ostfränkischen Karolinger, kam es im Jahr 911 zum ersten Mal zu einer Königswahl im Ostfränkischen Reich. Mit Konrad I. aus dem fränkischen Adelsgeschlecht der Konradiner bestieg zum ersten Mal ein Nicht-Karolinger den ostfränkischen Thron. Ihm folgte 919 mit Heinrich I. aus dem sächsischen Geschlecht der Liudolfinger der erste Nicht-Franke auf dem Thron. Heinrich I. setzte dann allerdings seinen Sohn Otto als Nachfolger durch. Damit wurde wieder die Erbfolge innerhalb einer Dynastie zur üblichen Praxis im Ostfränkischen Reich, wobei der Amtsinhaber in der Regel seinen Nachfolger designierte. Erst beim Aussterben einer Dynastie war eine neue Königswahl erforderlich. Nach dem Aussterben der Staufer entwickelte sich das Reich endgültig zu einer Wahlmonarchie. Stand ursprünglich das Recht zur Königswahl allen Reichsfürsten zu, setzte sich seit Anfang des 14. Jahrhunderts allmählich das Wahlrecht nur der Kurfürsten durch. Formal wurde es endgültig mit der Goldenen Bulle Karls IV. auf die sieben, ab Ende des 17. Jahrhunderts dann neun Kurfürsten eingeschränkt.
Seit der Annahme des Titels eines „erwählten römischen Kaisers“ durch Maximilian I. wurde der päpstliche Anspruch auf die Kaiserkrönung zurückgedrängt. Karl V., der 1519 zum römisch-deutschen König gewählt wurde, nahm nach der Königskrönung in Aachen 1520 den Titel „erwählter Kaiser“ an, ließ sich aber 1530 als letzter Kaiser nachträglich durch den Papst (Clemens VII.) krönen. 1531 wurde sein Bruder Ferdinand I., der Nachfolger Karls V., zum König gewählt.
Generell galt die Wahl zum römisch-deutschen König als Vorstufe zur Erlangung der Kaiserwürde. Dies blieb so bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches. Die letzte Wahl durch das Kurfürstenkollegium fand mit der Wahl von Franz II. am 5. Juli 1792 statt. Erst bei seiner Krönung am 14. Juli in Frankfurt nahm er den Titel „erwählter Kaiser“ an.
Obwohl die Kaiserwürde seit 1438 mit einer Ausnahme (Karl VII. aus dem Hause Wittelsbach) bis zum Ende des Reiches immer von einem Mitglied des Hauses Habsburg getragen wurde, blieb das Reich formell eine Wahlmonarchie; die Kurfürsten wahrten eifersüchtig ihr Wahlrecht.
Dänemark
Dänemark war bis zum 17. Oktober 1660 ein Wahlkönigtum und der Reichsrat wählte den König oder Thronfolger. 1660 wurde die Wahlmonarchie zugunsten einer Erbmonarchie ersetzt, dies wurde 1665 im neuen Königgesetz kodifiziert.
Polen-Litauen
Im Polnisch-Litauischen Reich (1569 bis 1795) wurde der König vom Adel gewählt, der auch gewichtige Mitspracherechte im Sejm besaß. Daher rührt gelegentlich die Bezeichnung Adelsrepublik für das Polnische Reich, da der Adel über 10 % der Bevölkerung ausmachte, deutlich mehr als in anderen Ländern. Meist wurde der Thron mit ausländischen Fürsten besetzt, die wenig Zeit oder Interesse hatten, sich in die inneren Angelegenheiten Polens zu mischen, und zudem über keine Hausmacht in Polen verfügten. Dies trug neben dem Liberum Veto und anderen Faktoren bei zum Niedergang des Doppelstaates Polen-Litauen gegen Ende des 18. Jahrhunderts und den Teilungen Polens.
Schweden
Schweden war bis zum Reichstag in Västerås 1544 eine Wahlmonarchie.
Existierende Wahlmonarchien
Malaysia
Die neun Sultane von Malaysia bestimmen alle fünf Jahre einen aus ihrer Mitte zum Yang di-Pertuan Agong (dieser Titel wird im Westen als Oberster Führer, häufiger jedoch als König wiedergegeben). Traditionell rotiert der Titel unter den Sultanaten. Da Malaysia eine parlamentarische Monarchie ist, hat der König hauptsächlich repräsentative Aufgaben.
Kambodscha
In der Wahlmonarchie Kambodscha wird der König auf Lebenszeit vom neun Mann umfassenden Thronrat gewählt.[1] Der Monarch muss aus den Geschlechtern von Ang Duong, Norodom oder Sisowath stammen[2] und hat primär repräsentative und symbolische Aufgaben.[3][4] Er beruft den vom Parlament gewählten Regierungschef formell ins Amt und ernennt auf dessen Vorschlag auch die übrigen Kabinettsmitglieder.[5]
Vereinigte Arabische Emirate
Die sieben Emire der Vereinigten Arabischen Emirate wählen aus ihren Reihen ein Staatsoberhaupt, das den Titel Präsident erhält. Traditionell wird der jeweilige Emir von Abu Dhabi in diese Position gewählt, ebenso ist der Emir von Dubai traditionell Regierungschef.
Da das Parlament der VAE nur beratende Funktion hat, ist die Stellung des Emir-Präsidenten recht stark.
Andorra
Das Fürstentum Andorra ist keine direkte Wahlmonarchie, sondern ein Kondominat zwischen dem französischen Staatsoberhaupt (als historischem Nachfolger der Grafen von Foix, später der Könige von Navarra) und dem Bischof von Urgell. Die andorranische Herrschaft, das „Fürstentum“, gründet nicht auf andorranischen Wahlen, sondern auf Amtsnachfolge der beiden Herrschaftsinhaber. Von diesen wird jedoch der Staatspräsident (vom französischen, nicht vom andorranischen Volk) direkt gewählt, sein andorranisches Amt beginnt und endet kraft dieser Wahlen, ebenso wie das des Bischofs des spanischen Urgell kraft päpstlicher Erwählung bzw. Abberufung.
Vatikanstadt
Der Papst ist als Bischof von Rom ex officio Staatsoberhaupt des Staates der Vatikanstadt und zugleich selbstständiges Völkerrechtssubjekt (Heiliger Stuhl).
Seine Wahl im Konklave der Kardinäle ist allerdings verfassungsrechtlich nicht im Staat der Vatikanstadt, sondern kirchenrechtlich in der katholischen Kirche angesiedelt. Staatsrechtlich wählen nicht die Staatsangehörigen das Staatsoberhaupt, sondern das Konklave wählt ihn für sie. Die Staatsform der Vatikanstadt ist aufgrund der allumfassenden judikativen[6] und legislativen wie auch exekutiven Macht des Papstes die einer absoluten Wahlmonarchie. Die Wahl erfolgt auf Lebenszeit und endet nur durch den Tod, den Amtsverzicht oder die Absetzung durch ein Allgemeines Konzil.
Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf Wahlmonarchien
Der Sozialanthropologe Max Gluckman hat die regelmäßigen und oft verlustreichen Kämpfe um die Nachfolge in Wahlmonarchien, die in Europa oft den Übergang zur Erbmonarchie befördert haben, in einer ambivalenten Doppelfunktion herausgestellt. Zwar kann es zu mörderischen sozialen Konflikten (Bürgerkriegen) kommen, anderseits sind ebendiese geeignet, die Zentralmonarchie als Institution und damit den Zusammenhalt eines Staatsvolkes und Territoriums immer wieder neu zu bestärken.[7] Politiksoziologisch gefasst, binden diese regelmäßigen Nachfolgestreitigkeiten damit die Eliten (nach Vilfredo Pareto „Elite“ und „Reserveelite“) einer Gesellschaft aneinander und vermeiden Sezessionen.
Vergleichbare Analyseansätze lassen sich auch auf dynastische Erbkämpfe außerhalb staatsrechtlicher Monarchien übertragen, etwa auf Unternehmen in Familienbesitz.[8] Bekannt sind hier u. a. die Auseinandersetzungen der Nachkommen Richard Wagners um die Leitung der Bayreuther Festspiele.[9]
Fußnoten
- Verfassung von 1993 (Memento vom 24. Januar 2009 im Internet Archive) (pdf, englisch). Wahl auf Lebenszeit = Artikel 7; Thronrat = Artikel 13
- Artikel 14 der Verfassung
- Andreas Neuhauser: Kambodscha. Reise-Know-How, Bielefeld 2003, ISBN 3-8317-1106-2.
- Fischer Weltalmanach 2006. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2005. ISBN 3-596-72006-0.
- Artikel 19 und 100
- § 1399 CIC (Memento vom 20. Juli 2011 im Internet Archive)
- Max Gluckman, Custom and conflict in Africa, vgl. a. Tilman Grottian, Systemtheoretische Ansätze bei Max Gluckman, LIT, Münster/Hamburg 1994, ISBN 3-89473-645-3.
- Für Bauernhöfe wurde im deutschen Rechtskreis diesen Folgen (regional) durch das Anerbenrecht Rechnung getragen.
- Siehe Jonathan Carr: Der Wagner-Clan, dt. v. Hermann Küsterer, Hoffmann und Campe, Hamburg 2008.