Physis
Physis ist im allgemeinen Sprachgebrauch ein Synonym für den menschlichen Körper (vergleiche dazu Physiotherapie oder „physisches Wohlbefinden“).
In Theologie, Philosophie und Naturwissenschaft ist Physis (von altgriechisch φύσις phýsis) ein Fachterminus, der meist mit „Natur“ (von lateinisch natura, der semantischen Entsprechung des griechischen physis), „natürliche Beschaffenheit, Naturbeschaffenheit“ oder „Körperbeschaffenheit“ übersetzt wird.
Ursprung
Das älteste Schriftzeugnis dieses Wortes liegt in der Odyssee von Homer vor, der es ein einziges Mal verwendet und sich dabei auf das Wachstumsverhalten einer Pflanzenart bezieht.[1] Die ursprüngliche Bedeutung wird übersetzt mit dem natürlichen Wachstum der Pflanzen, Tiere sowie natürlichen Entwicklungsvorgängen außerhalb äußeren Einflusses. Bereits bei den Philosophen vor Sokrates entwickelt sich die Verwendung hin zur Bedeutung „Natur“.[2] Seit Aristoteles wird das Physische (der Gegenstand der Physik) oft dem Metaphysischen (dem Gegenstand der Metaphysik) und dem vom Mensch Geschaffenen (techne) gegenübergestellt.
Physis ist eine Ableitung des Verbs φύειν phýein, das „erzeugen, hervorbringen, entstehen lassen“ oder „beschaffen sein“ bedeutet. Analog ist Natur vom lateinischen Verb nasci („entstehen, entspringen, seinen Anfang nehmen, herrühren“) abgeleitet.
Medizin und Biologie
In der Biologie und der Medizin wird der Gräzismus „Physis“ im Sinne von ‚Wuchs‘, ‚Gewachsenes‘ oder auch ‚Gewächs‘ verwendet – insbesondere als Wortstamm („-physis“ bzw. eingedeutscht „-physe“) wie z. B. in „Symphysis/-physe“, „Epiphysis/-physe“, „Hypophyse“.
Auch im Englischen existiert der medizinische Terminus physis, und zwar für den Bereich am Knochen zwischen Metaphyse und Epiphyse – dieser wird im Deutschen allerdings als „Epiphysenfuge“ bezeichnet.
Literatur
- Wörterbücher
- Luc Deitz: Stichwort Physis/Nomos, PhysisThesis, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 7, Spalte 967 ff.
- Friedrich Kaulbach: Stichwort Natur, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Basel 1971–2007, Bd. 6, v. a. Spalte 430 ff.
- Spezielle Literatur
- Martin Heidegger: Vom Wesen und Begriff der Φὐσις. Aristoteles, Physik B, 1 (1939), in: Wegmarken (= GA, Bd. 9), Frankfurt/Main 1076 (³2004).
- Gundolf Keil: Physis. Aspekte des antiken Naturbegriffs. Eröffnungsvortrag in: Peter Dilg (Hrsg.): Natur im Mittelalter. Konzeptionen – Erfahrungen – Wirkungen. Akten des 9. Symposiums des Mediävistenverbandes, Marburg, 14.–17. März 2001. Berlin 2003, S. 1–30.
Weblinks
- Alfred Dunshirn: Physis. In: Thomas Kirchhoff (Hrsg.): Online Encyclopedia Philosophy of Nature / Online-Lexikon Naturphilosophie. Universitätsbibliothek Heidelberg, Heidelberg 2019.
Einzelnachweise
- ὣς ἄρα φωνήσας πόρε φάρμακον ἀργεϊφόντης ἐκ γαίης ἐρύσας, καί μοι φύσιν αὐτοῦ ἔδειξε. (Also sprach Hermeias [im Original: Argeiphontes], und gab mir die heilsame Pflanze, die er dem Boden entriß, und zeigte mir ihre Natur an: Ihre Wurzel war schwarz, und milchweiß blühte die Blume.) Odyssee 10.302-4. Übersetzung von Johann Heinrich Voß, online bei digibib und Wikisource.
- Vergleiche W. K. C. Guthrie: Presocratic Tradition from Parmenides to Democritus, History of Greek Philosophy Bd. 2, Cambridge UP, Cambridge 1965.