Periode (Musik)
Als Periode bezeichnen Musiktheoretiker aus Vergangenheit und Gegenwart unterschiedlich geartete musikalische Abschnitte aufgrund unterschiedlicher Kriterien. Der Begriff ist also mehrdeutig.[1] Meistverbreitet dürfte heute eine Begriffsauffassung im Sinne dieser Definition sein:
„Verbinden wir zwei viertaktige Sätze von gleichem oder wesentlich gleichem Inhalt derart miteinander, daß der erste der beiden Sätze mit einem Halbschluß, der zweite mit einem Ganzschluß in der Tonart der Tonika schließt, so wird der erste zum Vorder- und der zweite zum Nachsatz, und das Ganze zu einer achttaktigen Periode.“
Nach dieser Definition bilden z. B. die ersten acht Takte des Te Deum in D-Dur von Marc-Antoine Charpentier (bekannt als Eurovisionsmelodie) eine Periode, denn sie erfüllen die Kriterien
- Zweiteiligkeit,
- Achttaktigkeit,
- gleichmäßige Gliederung (8 = 4+4)
- durch einen Halbschluss in der Mitte und einen abschließenden Ganzschluss, sowie
- motivische Entsprechung von Vorder- und Nachsatz.
Wie im Folgenden gezeigt wird, ist aber keins dieser Merkmale in der Geschichte des Begriffs zu jeder Zeit ein wesentliches Kriterium für seine Verwendung gewesen.
Geschlossener Abschnitt
Der Begriff stammt aus der Rhetorik (siehe Satzperiode) und bezeichnete vor diesem Hintergrund im 17. Jahrhundert zunächst recht allgemein geschlossene musikalische Abschnitte.[2] Über den genaueren Umfang und die Gliederung solcher Abschnitte sagt das Wort in dieser Zeit also nichts aus. Diese Begriffsauffassung findet sich noch um 1800 in den Schriften von Heinrich Christoph Koch, der Periode als „einen Theil eines Tonstücks“ definiert, der „mit einem vollkommenen Ruhepunkte des Geistes“ schließt, „den man eine Cadenz nennet“ (unter „Cadenz“ versteht Koch einen vollkommenen Ganzschluss).[3]
Symmetrische Zweiteilung, Halb- und Ganzschluss, Achttaktigkeit
Die Einschränkung auf Abschnitte, die mit einem Ganzschluss enden, doch außerdem durch einen Halbschluss in zwei gleich lange Teile gegliedert sind, findet sich zuerst in der Melodielehre von Anton Reicha (1814). Die weitere Einschränkung auf ein achttaktiges Modell (das verkürzt oder verlängert werden kann) erfolgte in der einflussreichen Kompositionslehre von Adolph Bernhard Marx (1837), der auch die Begriffe „Vordersatz“ und „Nachsatz“ eingeführt hat. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts begegnet die auch heute geläufige Analogie, wonach der Vordersatz einer Periode einer Frage und der entsprechende Nachsatz deren Antwort ähnelt.[4] Dass die Mittelkadenz ein Halbschluss sein müsse, wird in neuerer Literatur relativiert: Auch unvollkommene (bzw. im Vergleich zur Schlusskadenz weniger vollkommene) Ganzschlüsse werden epochenübergreifend an dieser Stelle verwendet.[5] Demnach bilden z. B. auch die ersten acht Takte des Kinderliedes Hänschen klein eine Periode.
Motivische Entsprechung der Halbsatzanfänge
Dass der Nachsatz als (variierte) Wiederholung des Vordersatzes beginnt, wird seit 1865 in einigen Handbüchern und Lexika eigens hervorgehoben.[6] In manchen anderen Quellen bleibt dieser Aspekt unerwähnt, bzw. wird möglicherweise als selbstverständlich vorausgesetzt.
Gliederung des Vordersatzes
Arnold Schönberg, dessen Schriften für die heutige musikalische Formenlehre ein wichtiger Bezugspunkt sind, beschreibt den Vordersatz seinerseits als zweigeteilt, da hier nach der Formulierung der ersten „Phrase“, für die es meist zwei Takte brauche, „mehr kontrastierende Motivformen“ folgten. An diesem Punkt (im dritten Takt eines Themas also) entscheide sich, ob sich der Abschnitt zu einer Periode oder zu einem Satz entwickle:[7]
„Die Periode unterscheidet sich vom Satz dadurch, daß sie die Wiederholung hinausschiebt. Ihre erste Phrase wird nicht unmittelbar wiederholt, sondern mit entfernteren (mehr kontrastierenden) Motivformen verbunden, um die erste Hälfte der Periode, den Vordersatz, zu bilden. Nach diesem Kontrast kann die Wiederholung nicht länger hinausgeschoben werden, ohne die Faßlichkeit zu gefährden. Demnach wird die zweite Hälfte, der Nachsatz, als eine Art von Wiederholung des Vordersatzes konstruiert werden.“[8]
In Ergänzung dazu beschreibt William Caplin den Typus der „zusammengesetzten Periode“ (compound period), deren Vorder- und Nachsatz jeweils acht Takte umfassen und als Satz oder als „Zwitter“ (hybrid; u. a. Vordersatz + Fortsetzung) gebaut sind.[9] Als Beispiel für diese letzte Struktur nennt Caplin u. a. T. 1–16 im ersten Satz der Klaviersonate in As-Dur op. 26 von Ludwig van Beethoven.
Periode als metrisches Modell
Nach Hugo Riemann ist die Periode wesentlich auch durch die „Unterscheidungen verschiedenen Gewichts der Takte“ bestimmt:
„Die Begriffe leichter (erster) und schwerer (antwortender, zweiter) Takt, erste (aufstellende) und zweite (antwortende) Zweitaktgruppe, erster Halbsatz (Vordersatz) und zweiter Halbsatz (Nachsatz) führen zum Verständnis des regulären Schemas der vollständigen achttaktigen Periode.“[10]
Die hieraus resultierende Gewichtsabstufung
- 1. („leichteste“) Stufe: 1., 3., 5., 7. Takt
- 2. Stufe: 2., 6. Takt
- 3. Stufe: 4. Takt
- 4. Stufe: 8. Takt
sei jedoch nicht stets in gleicher Weise gegeben, sondern hinge „vom konkreten Inhalte […], von den thematischen Motiven“ ab.[11]
Quellen und Literatur
- Christoph von Blumröder: Art. Periodus / Periode. In: Handwörterbuch der musikalischen Terminologie, hrsg. von Hans Heinrich Eggebrecht und Albrecht Riethmüller, Schriftleitung Markus Bandur, Steiner, Stuttgart 1996, ISBN 978-3-515-10167-7 (online).
- William Caplin: Classical Form. A Theory of Formal Functions for the Instrumental Music of Haydn, Mozart, and Beethoven. Oxford University Press, New York 1998, ISBN 978-0-19-514399-7.
- William Caplin: Analyzing Classical Form. An Approach for the Classroom. Oxford University Press, New York 2013, ISBN 978-0-19-998730-6.
- Carl Dahlhaus: Satz und Periode: Zur Theorie der musikalischen Syntax. In: Zeitschrift fur Musiktheorie 9 (1978), S. 16–26.
- Arrey von Dommer: Musikalisches Lexikon (= vermehrte und umgearbeitete 2. Auflage des gleichnamigen Werkes von Heinrich Christoph Koch), Heidelberg: J.C.B. Mohr 1865 (online).
- Heinrich Christoph Koch: Musikalisches Lexikon. Frankfurt 1802 (online).
- Clemens Kühn: Formenlehre der Musik. 6. Auflage, Bärenreiter, Kassel 2001, ISBN 3-7618-1392-9.
- Anton Reicha: Traité de mélodie. Paris 1814; deutsche Übersetzung durch Carl Czerny 1832.
- Hugo Riemann: System der musikalischen Rhythmik und Metrik. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1903.
- Arnold Schönberg: Fundamentals of Musical Composition [1937–1948], posthum hrsg. von Gerald Strang und Leonard Stein, London 1967; dt. als Grundlagen der musikalischen Komposition, übers. von Rudolf Kolisch und hrsg. von Rudolf Stephan, Universal Edition, Wien 1979, ISBN 978-3-7024-0136-8.
Einzelnachweise
- Für eine ausführliche Übersicht der Auffassungen des Begriffs in der Musiktheorie seit dem Mittelalter, siehe Blumröder 1996.
- Siehe z. B. Burmeister 1606, S. 35f., 73f.
- Koch 1802, Sp. 1150.
- Blumröder 1996, S. 9–11. Die Frage-Antwort-Metapher im Aesthetischen Lexikon von Ignaz Jeitteles (Band 2, S. 66), auf die Blumröder (S. 9) verweist, bezieht sich allgemein auf ein mögliches Verhältnis gewisser melodischer Glieder, nicht ausdrücklich auf das Verhältnis Vorder- und Nachsatz im Sinne Marxʼ.
- Siehe z. B. Kühn 2001, S. 56f.
- Dommer 1865, S. 677f.
- Schönberg 1979, S. 21: „Der Unterschied zwischen einem Satz und einer Periode liegt in der Behandlung der zweiten Phrase und deren Fortsetzung.“
- Schönberg 1979, S. 23.
- Caplin 2013, S. 166ff.
- Riemann 1903, S. 13.
- Riemann 1903, S. 13.