Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt
Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt ist ein im Auftrag des Westdeutschen Rundfunks gedrehter Film von Rosa von Praunheim. Der Film hatte 1971 seine Uraufführung bei den Internationalen Filmfestspielen von Berlin.[2]
Film | |
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Originaltitel | Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt |
Produktionsland | Deutschland |
Originalsprache | Deutsch |
Erscheinungsjahr | 1971 |
Länge | 67 Minuten |
Altersfreigabe | FSK 16[1] |
Stab | |
Regie | Rosa von Praunheim |
Drehbuch | Rosa von Praunheim, Martin Dannecker, Sigurd Wurl |
Produktion | Günter Rohrbach/Werner Kließ/Bavaria Film/WDR |
Musik | Archivaufnahmen |
Kamera | Robert van Ackeren |
Schnitt | Jean-Claude Piroué |
Besetzung | |
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In dem Film wird am Beispiel der Protagonisten das Leben vieler homosexueller Männer Anfang der 1970er Jahre in der schwulen Subkultur in Berlin und im Privaten dargestellt und behandelt. Der Film richtet sich nicht primär an die heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft, wie der Titel vermuten lässt, sondern an die Homosexuellen selbst. Eine zentrale These des Films ist: Die schlechte Situation der Homosexuellen, in der sie lebten, haben sie mit zu verantworten. Tenor des Films ist, dass Homosexuelle ihre Angst und Ohnmacht überwinden und aus ihren „Verstecken“ herauskommen sollten, um sich zu organisieren, sich gegenseitig zu unterstützen und solidarisch für eine bessere, gleichberechtigte Gesellschaft zu kämpfen. Die Aussagen und Forderungen des Films beziehen sich auch auf die Agenda und Analyse der Drehbuchautoren. Der Film wurde als Stummfilm gedreht und erst nachträglich mit Dialogen sowie sozialkritischen und provokanten Kommentaren unterlegt, um einen Abbruch der Dreharbeiten durch die Produzenten selbst zu vermeiden.
Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt wurde zum Auslöser der modernen deutschen und schweizerischen Lesben- und Schwulenbewegung, war gleichzeitig mitunter umstritten. In dem Film kommt es auch zum ersten Kuss zwischen zwei Männern, der im deutschen Fernsehen gezeigt wurde. Die Fernsehausstrahlung wurde zum Medien-Skandal. Der Film erfuhr auch international große Resonanz, er wurde u. a. an vielen renommierten Universitäten gezeigt, z. B. an der Universität von Kalifornien in Berkeley[3] und an der Universität von Pennsylvania[4], und ging in diverse wissenschaftliche Arbeiten und Publikationen ebenso renommierter Universitäten ein, z. B. der Stanford Universität[5] und der Oxford Universität[6].
Anlässlich seines 50-jährigen Bestehens am 3. Juli 2021 wurde der Film, der schon oft im Fernsehen wiederholt wurde, zusammen mit der TV-Publikumsdiskussion zum Film (von 1973) im WDR ausgestrahlt.[7] Das Museum of Modern Art in New York City streamte zum Jubiläum zusammen mit der Berlinale und dem Goethe-Institut fast 10 Tage lang Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt.[8]
Handlung
Der junge Daniel aus der Provinz kommt nach Berlin und trifft dort auf Clemens. Beide erleben die große Liebe, ziehen zusammen und versuchen, die bürgerliche Ehe zu kopieren. Nach vier Monaten trennen sie sich aber wieder, da Daniel inzwischen einen älteren, reichen Mann kennengelernt hat, in dessen Villa er zieht. Wenig später betrügt ihn sein älterer Freund bei einem Musikabend. Für ihn war Daniel nur ein Objekt. Daniel beginnt in einem Homosexuellen-Café zu arbeiten, kleidet sich nach der neuesten Mode und passt sich schnell an die Ideale der schwulen Subkultur an. Er lässt sich bewundern und verbringt seine Freizeit im Strandbad. Nachts geht er in Szene-Bars und wird immer mehr von den ständig wechselnden sexuellen Abenteuern abhängig. Nach einiger Zeit entdeckt er auch die Reize des Cruisings in Parks und in öffentlichen Toiletten, wo er auch erlebt, wie ältere Homosexuelle zusammengeschlagen werden.
Einmal landet Daniel zu später Stunde in einem Travestie-Lokal, in der sich um diese Uhrzeit viele Männer treffen, die bis dahin noch keinen Partner für die Nacht gefunden haben. Hier lernt er Paul kennen, der ihn mit in seine schwule Wohngemeinschaft im Stil einer Kommune nimmt. Die Bewohner diskutieren gemeinsam mit ihm über die Herausforderungen und Probleme des schwulen Lebens und verdeutlichen ihm, dass er ein sehr oberflächliches Leben führt. Seine Aufgabe als emanzipierter Schwuler sei es, sich zu seiner sexuellen Orientierung zu bekennen und aktiv für andere Werte und Lebensinhalte einzutreten, als nur Modetrends und schnellem, meist anonymen Sex nachzujagen. Die Gruppe schlägt ihm vor, sich sozial und politisch zu engagieren und gemeinsam mit ihnen und anderen für eine gerechtere Gesellschaft zu kämpfen, in der sich Homosexuelle frei und ohne Diskriminierung entwickeln können.
Historische Bedeutung
Am 1. September 1969 trat die Liberalisierung des § 175 (StGB) in Kraft. Praktizierte männliche Homosexualität unter Erwachsenen war fortan nicht mehr strafbar. Dadurch begann langsam ein öffentliches schwules Leben in Deutschland, primär in Großstädten wie Berlin und Köln. Dieses war anfangs noch geprägt von den tagsüber inkognito lebenden, sich der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft "anbiedernden", unterordnenden und auf Toleranz hoffenden Homophilen, ihren versteckten Vereinen, der rein kommerziell geprägten Bar- und Club-Szene, die von der neuen Schwulenbewegung auch als "Sex-Ghetto" bezeichnet wurde, sowie den als anonymen Kontaktplätzen dienenden Parks und öffentlichen Toiletten. So hieß der Arbeitstitel des Films: Nicht der Schwule ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt – Das Glück auf der Toilette.[9]
„Der Film war geprägt von Wut und Frust, die sich in meinem bisherigen schwulen Leben in Berlin aufgestaut hatten. Ich war davon überzeugt, dass wir nicht immer nur passiv auf die Nettigkeit der Gesellschaft warten können, damit sich für uns etwas zum Vorteil verändert. […] Unser Film sollte provozieren, Schwule und Heteros aus ihrer Ruhe und ins Gespräch bringen. Wir wollten auf keinen Fall einen Film, der die Schwulen glorifiziert oder bemitleidet. Uns war es wichtig, die "beschissene" Situation der Schwulen schonungslos aufzudecken, […]“
Neben Rosa von Praunheim und Sigurd Wurl lieferte der Soziologe und spätere Sexualwissenschaftler Martin Dannecker die Textbeiträge zu dem Film. Zusammen mit Reimut Reiche arbeitete Dannecker seit 1970[10] an seiner Untersuchung über den „gewöhnlichen Homosexuellen“.
Uraufgeführt wurde der Film am 3. Juli 1971 im Rahmen der Berlinale im Internationalen Forum des Jungen Films. Bei den Aufführungen in den Kinos und auf Filmfestivals kam es oft zu spontanen Diskussionen, teilweise im Beisein der Autoren, und noch im selben Jahr gründeten sich daraufhin zahlreiche Homosexuelleninitiativen, beispielsweise die Homosexuelle Aktion Westberlin (HAW) und das von ihr später gegründete SchwuZ, die Rote Zelle Schwul (RotZSchwul)[11] in Frankfurt am Main und die Gay Liberation Front (GLF) in Köln. Zwischen 1971 und 1973 kam es zur Gründung von insgesamt 70 Gruppen bzw. Vereinen und anderen Einrichtungen, davon 55 mit einem allgemeinen Vertretungsanspruch, viele davon mit direktem Bezug zum Film.[9] Dies war der Beginn der neuen, anfangs studentisch und politisch links geprägten Lesben- und Schwulenbewegung im deutschsprachigen Raum. Zur alten Homophilenbewegung gab es wenig Kontakte und des Öfteren gegenseitige Animositäten. Aus der Ablehnung der bestehenden Lokalszene wurden in der Folge auch mehrere alternative Begegnungsstätten und Vereinslokale geschaffen.
Im Fernsehen wurde der Film erstmals am 31. Januar 1972 bewusst zu später Stunde im WDR ausgestrahlt. Der ursprünglich vorgesehene Sendetermin in der ARD wurde von der Programmleitung auf Vorschlag der Ständigen Fernsehprogrammkonferenz ins Dritte Fernsehprogramm verschoben: „Die Konferenz hatte die Meinung vertreten, dieser Film sei geeignet, zur Zeit noch bestehende Vorurteile gegen Homosexuelle zu bestätigen oder zu verstärken, anstatt diese abzubauen.“[12] Eine andere Einschätzung zur Absetzung des Films bei der ARD wird von Günter Rohrbach vorgenommen: Hier sollen „gerade die Homosexuellen selbst vor Schaden“ bewahrt werden.[13] Gegen die Fernsehaufführung agierte im Vorfeld die Internationale Homophilen-Welt-Organisation (IHWO)[14] in Hamburg, die massiver Kritik ausgesetzt war und um ihre Daseinsberechtigung fürchtete.
Der WDR hatte vorsorglich die Sender-Telefone für die Ausstrahlung verstärkt besetzt, was sich auch als notwendig erwies. Wie in solchen Situationen üblich, riefen vor allem empörte Menschen an, etwa 95 % der Anrufe waren negativ. Die am häufigsten geäußerte Meinung war sinngemäß: „Lasst uns doch mit den Homosexuellen zufrieden, wir wollen mit denen nichts zu tun haben.“ Ein Jahr nach der Erstausstrahlung sendete das WDR Fernsehen eine Publikumsdiskussion unter Leitung von Moderator Reinhard Münchenhagen mit der Teilnahme von Filmemacher Rosa von Praunheim, Co-Autor Martin Dannecker, Religions- und Kultursoziologe Demosthenes Savramis, Politikerin Emmy Diemer-Nicolaus, Bundestagsabgeordneter Wilderich Freiherr Ostman von der Leye und Bavaria-Filmproduzent Günter Rohrbach, die kontrovers darüber debattierten, weshalb der Film erst zu später Stunde gesendet wurde, über die Definition der Begriffe normal und pervers, die gesellschaftliche Integration von Homosexuellen, die Strafrechtsreform in Bezug auf den Paragraphen 175, Homosexualität am Arbeitsplatz, den Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Homosexuellen und den Aufklärungswert des Films.[15]
Die erste bundesweite Ausstrahlung in der ARD erfolgte am 15. Januar 1973, allerdings schaltet sich dabei der Bayerische Rundfunk aus, was erneut zu einem Medien-Skandal um den Film führte.[16] Der Bayerische Rundfunk strahlte stattdessen den finnischen Spielfilm Benzin im Blut als Gegenprogramm aus.[17]
In der Schweiz waren homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen seit 1942 nicht mehr strafbar. Die zentrale und progressive Schwulen-Zeitschrift Der Kreis musste allerdings 1967 eingestellt werden, und es wurden andere von der Homophilenbewegung der heterosexuellen Norm angepasste Projekte gestartet. Erst im Frühjahr 1972 gelang es, von Praunheims Film öffentlich in der Schweiz aufzuführen, u. a. weil auch von konservativen Schwulen Widerstand geleistet wurde. Nach den ersten Aufführungen des Films kam es in den Wochen und Monaten darauf zur Gründung der Homosexuellen Arbeitsgruppen Zürich (HAZ) und anderer modern ausgerichteter Einrichtungen der neuen Emanzipationsbewegung, z. B. der Homosexuellen Arbeitsgruppen Basel und der Homosexuellen Arbeitsgruppen Bern. Auch in Österreich und anderen Ländern löste der Film positive Impulse auf die Entwicklung der schwulen Sub- und Vereinskultur sowie der gesellschaftlichen Akzeptanz von Homosexuellen aus.
Zitate und wegweisende Aussagen
Der Titel des Films wird häufig (entsprechend des Themas) in abgewandelter Form zitiert.
Ein Tabubruch bestand darin, dass rund 900 Mal die Worte „schwul“ und „Schwuler“ ausgesprochen werden, was damals viele Homosexuelle wie Heterosexuelle als unerträglich empfanden.[9] Der bis dahin rein negativ verstandene Begriff „schwul“ wurde jedoch daraufhin von Aktivisten und Studenten in eine positive Selbstbezeichnung homosexueller Männer umgemünzt.[18]
„Schwule wollen nicht schwul sein, sondern sie wollen so spießig sein und kitschig sein wie der Durchschnittsbürger. Sie sehnen sich nach einem trauten Heim, in dem sie mit einem ehrlichen und treuen Freund unauffällig ein eheähnliches Verhältnis eingehen können. Der ideale Partner muss sauber, ehrlich und natürlich sein, ein unverbrauchter und frischer Junge, so lieb und verspielt wie ein Schäferhund.
Da die Schwulen vom Spießer als krank und minderwertig verachtet werden, versuchen sie noch spießiger zu werden, um ihr Schuldgefühl abzutragen mit einem Übermaß an bürgerlichen Tugenden. Sie sind politisch passiv und verhalten sich konservativ als Dank dafür, dass sie nicht totgeschlagen werden.
Schwule schämen sich ihrer Veranlagung, denn man hat ihnen in jahrhundertelanger christlicher Erziehung eingeprägt, was für Säue sie sind. Deshalb flüchten sie weit weg von dieser grausamen Realität in die romantische Welt des Kitsches und der Ideale. Ihre Träume sind Illustrierten-Träume, Träume von einem Menschen, an dessen Seite sie aus den Widrigkeiten des Alltags entlassen werden in eine Welt, die nur aus Liebe und Romantik besteht. Nicht die Homosexuellen sind pervers, sondern die Situation, in der sie zu leben haben.“
„Die Mehrzahl der Homosexuellen gleicht dem Typ des unauffälligen Sohnes aus gutem Hause, der den größten Wert darauf legt, männlich zu erscheinen. Sein größter Feind ist die auffällige Tunte. Tunten sind nicht so verlogen, wie der spießige Schwule. Tunten übertreiben ihre schwulen Eigenschaften und machen sich über sie lustig. Sie stellen damit die Normen unserer Gesellschaft in Frage und zeigen, was es bedeutet, schwul zu sein.“
„Homosexuelle haben miteinander nichts gemeinsam als den starken Wunsch, mit einem Mann zu schlafen. Der immer stärker werdende Wunsch nach einem nackten männlichen Körper treibt sie aus ihren Familien heraus zu den Orten, wo sie Schwule treffen. In der Gemeinschaft der Schwulen können sie für kurze Zeit vergessen, dass sie Aussätzige und Verstoßene sind.“
„Schwule versuchen die bürgerliche Ehe zu kopieren an statt die, denen sie ihr ganzes Unglück verdanken, zu hassen, wäre es ihr größtes Glück, eine von Kirche und Staat erlaubte lebenslange Zweierbeziehung einzugehen.“
„Die bürgerliche Ehe funktioniert durch Aufzucht von Kindern und Unterdrückung der Frau. Die Schwule Ehe kann nur ein lächerlicher Abklatsch sein, da fehlende gemeinsame Aufgaben ersetzt werden durch eine romantische Liebe; die fern jeder Realität ist. Die romantische und vergötternde Liebe ist nichts anderes als Selbstliebe. Die meisten Schwulen merken nicht, daß sie in der Liebe zum anderen nur sich selbst lieben. Der Freund wird als Abgott der eignen Hoffnungen und Sehnsüchte gesehen. Sie versuchen nicht ihn zu verstehen und auf ihn einzugehen; sie belasten ihn sogar noch mit den eigenen Schwierigkeiten. Die schwule Ehe zerbricht an der Rivalität von zwei eitlen Männern die da zu erzogen wurde ihre Interessen, anstatt miteinander im Wettbewerb gegeneinander durchzusetzen. Die fehlenden gemeinsamen Aufgaben und die Unfähigkeit sich zu verstehen, weil man zu sehr seiner eignen Person verhaftet bleibt, führen bald zum tragischen Ende einer romantischen Freundschaft. Zurück bleibt die Einsamkeit und die grosse Leere die bald von neuen unwirklichen und eitlen Träumen angefüllt wird.“
„Jetzt aber ist die Zeit da, wo wir uns selbst helfen müssen. […] Das Wichtigste für alle Schwulen ist, dass wir uns zu unserem Schwulsein bekennen. […] Wir schwulen Säue wollen endlich Menschen werden und wie Menschen behandelt werden. Und wir müssen selbst darum kämpfen. Wir wollen nicht nur toleriert, wir wollen akzeptiert werden. Es geht nicht nur um eine Anerkennung von Seiten der Bevölkerung, sondern es geht um unser Verhalten unter uns. Wir wollen keine anonymen Vereine! Wir wollen eine gemeinsame Aktion, damit wir uns kennenlernen und uns gemeinsam im Kampf für unsere Probleme näherkommen und uns lieben lernen.
Wir müssen uns organisieren. Wir brauchen bessere Kneipen, wir brauchen gute Ärzte, und wir brauchen Schutz am Arbeitsplatz.
Werdet stolz auf eure Homosexualität!
Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen!
Freiheit für die Schwulen!“
Die am Ende des Films eingeblendete und damit als „Moral“ abschließende Aufforderung „Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen!“ ist eine übertragene Anpassung des in den USA verwendeten Imperativs „Out of the closet and into the street!“ Einerseits war im deutschsprachigen Raum die zugrundeliegende Redewendung „[[Coming-out]|Coming ot] of the closet“ mit ihrer Bedeutung (wörtlich: „Aus dem Kleiderschrank herauskommen“, im Übertragenen Sinne: „Aus dem Versteck herauskommen“, in diesem Kontext: „Sich zu seiner Homosexualität bekennen“) noch nicht bekannt. Andererseits passt die Formulierung zu den provokanten Aussagen über Klappensex im Film.
Kritiken
- Akademie der Künste: Rosa von Praunheim ist einer der erfolgreichsten schwulen Filmemacher der Welt. Mit seinem Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" von 1971 etablierte er sich als öffentlicher Wegbereiter der modernen Schwulenrechtsbewegung.[19]
- Erwin In het Panhuis, Queer.de: Ganz große Fernsehgeschichte - Die Bedeutung des Films für die danach einsetzende Schwulenbewegung in Deutschland kann man gar nicht überschätzen.[20]
- Douglas Messerli, World Cinema Review: Nicht der Homosexuelle ... war zweifellos der Urknall des deutschen Queer Cinema.
- Vincent Canby, New York Times, 1977: Ein militant marxistischer Aufruf für ein Ende der Schwulenunterdrückung.[21]
- Südwestrundfunk: Ein zentraler Kunstgriff des Films war es, sich das Attribut „schwul“ positiv anzueignen.[22]
- Der Spiegel, 1971: Im Vorgriff auf dies angestrebte neue homosexuelle Selbstbewusstsein hat der Regisseur darauf verzichtet, die Form seines Films den herrschenden Kino-Normen anzugleichen.[23]
- Der Spiegel, 1972, Günter Rohrbach: Er ist aggressiv und polemisch, er ist beides, vor allem gegen die Homosexuellen selbst. Das macht ihn für sie so schmerzlich, das macht ihn aber auch für die Heterosexuellen so problematisch. Beiden Gruppen wäre wahrscheinlich in ihrer Mehrheit ein Film lieber gewesen, der auch das direktoriale Verdikt am wenigsten zu fürchten gehabt hätte: ein angepasster, für das Phänomen der Homosexualität um Toleranz werbender Film. (Auch das sind schließlich Menschen!) Kann man es dem Homosexuellen Rosa von Praunheim verargen, daß er gerade das nicht wollte? Würde es der Befreiung der Schwarzen nützen, wenn man einen Film machte, in dem sie alle weiß geschminkt wären?[13]
- Queerfilm.de, 2001: Ganz im Stile der 70er Jahre ist dieser Film inzwischen ein filmisches Dokument der Schwulenbewegung und seiner Zeit. Wobei die filmische Experimentierfreudigkeit so manchen Aufführer verwirrt, da der u.a. eine 10-minütige stumme Szene hat! [Während des Cruisings im Park.] Auch als Dokument der Szene Anfang des siebten Jahrzehnts ist der Film bemerkenswert. Ohne Tabus zeigt er damals ungesehene Bilder von Schwulen auf Klappen oder im Park. „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ ist ein Zeitdokument, dessen Mut und Kraft auch heute noch beeindrucken.
Weitere Filmdaten
- Englischer Titel: „It Is Not the Homosexual Who Is Perverse, But the Society in Which He Lives“
- Russischer Titel: „Извращенец не гомосексуалист, а общество“
- Italienischer Titel: „Non è l’omosessuale ad essere perverso, ma la situazione in cui vive“
- Französischer Filmtitel: „Ce n’est pas l’homosexuel qui est pervers mais la société dans laquelle il vit“
- Spanischer Filmtitel: „No es perverso ser homosexual, perverso es el contexto“
- Produktionsfirmen: Bavaria Atelier GmbH, Westdeutscher Rundfunk (WDR)
- Produktionskosten: ca. 250.000 DM
- Erstaufführung: Internationales Forum des Jungen Films, Internationale Filmfestspiele Berlin, 3. Juli 1971 | Erstausstrahlung: WDR III, 31. 1972
- Erstaufführungen im Ausland (z. B.): USA: 24. November 1977, New York | Kolumbien: 4. Juli 2001 (Ciclo El laberinto rosa)
- Der Film war Teil der Documenta 5 in Kassel in der Abteilung Filmschau: Anderes Kino
- Verleih: Freunde der Kinemathek & Legend Home Entertainment (Kino-Kontrovers Kollektion)
Literatur
- Sophie Kühnlenz: „Aufstand der Perversen“. Zur Rezeption von Rosa von Praunheims ‚Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt‘ in Medienberichten in der Bundesrepublik Deutschland. In: Invertito – Jahrbuch für Geschichte der Homosexualitäten 16 (2014), S. 125–152.[24]
Weblinks
- Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt in der Internet Movie Database (englisch)
- Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt auf rosavonpraunheim.de
- Filmplakat von 1971 beim DHM-Blog - Deutsches Historisches Museum: Queer History vom 3. Mai 2018
- Detlef Grumbach: Bürger wider Willen – die Schwulenbewegung zwischen Revolte und Integration. (Memento vom 28. September 2007 im Internet Archive) Ein Porträt Martin Danneckers, Deutschlandfunk (Abschrift), 13. Juni 1998, Redaktion: Karin Beindorff
- Dietrich Kuhlbrodt: Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt – Rezension aus 1984
Einzelnachweise
- Freigabebescheinigung für Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt. Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, März 2015 (PDF; Prüfnummer: 142 865 V).
- Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt. filmportal.de, abgerufen am 4. März 2022.
- New German cinema director Rosa von Praunheim to present double-premiere at UC's Wheeler Auditorium March 2. Berkeley Art Museum and Pacific Film Archive der Universität von Kalifornien, abgerufen am 4. März 2022.
- Gen/Sex: Film Series – Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt (Rosa von Praunheim, 1972). Universität von Pennsylvania, abgerufen am 4. März 2022.
- The Queer German Cinema - Alice A. Kuzniar. Stanford University Press, abgerufen am 4. März 2022.
- ‘It Is Not the Homosexual Who Is Perverse’. Oxford University Press, abgerufen am 4. März 2022.
- Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt. WDR, abgerufen am 4. März 2022.
- Comes the Revolution: The Berlinale Forum at 50. Goethe-Institut, abgerufen am 4. März 2022.
- Michael Holy: Jenseits von Stonewall – Rückblicke auf die Schwulenbewegung in der BRD von 1969–1980. In: Andreas Pretzel, Volker Weiß (Hrsg.): Rosa Radikale. Die Schwulenbewegung der 1970er Jahre. Männerschwarm Verlag, 2012, ISBN 978-3-86300-123-0, 1971–1973: Der Praunheim-Film als Anfangserlebnis der deutschen Schwulenbewegung, S. 46, 48 (Fußnote 16).
- Martin Dannecker, Reimut Reiche: Der gewöhnliche Homosexuelle. Eine soziologische Untersuchung über männliche Homosexuelle in der Bundesrepublik. In: Fischer Format. 2. Auflage. S. Fischer, Frankfurt a. M. 1974, S. 17.
- Vgl. Jannis Plastargias: RotZSchwul. Der Beginn einer Bewegung (1971–1975). Querverlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-89656-238-8.
- Fernschreibermeldung dpa vom 13. Januar 1972 – vollständiger Abdruck in: Troubles im Paradiese. 30 Jahre Schwulen- und Lesbenzentren in Köln [Ausstellungskatalog]. Hrsg.: Centrum Schwule Geschichte e.V. Selbstverlag, Köln März 2005, S. 54.
- Günter Rohrbach: TV-SPIEGEL – Ohne Maske und Tarnkappe. In: Der Spiegel. Nr. 5, 1972, S. 100 (online – 24. Januar 1972).
- Raimund Wolfert: Gegen Einsamkeit und ‹Einsiedelei›. Die Geschichte der Internationalen Homophilen Welt-Organisation. Männerschwarm, Hamburg 2009.
- Publikumsdiskussion Nicht der Homosexuelle…. Talk-Runde, 1973, 97 Min. Moderation: Reinhard Münchenhagen. Eine Produktion von Westdeutscher Rundfunk Köln
- http://web.ard.de/ard-chronik/index/4917
- Diese Woche im Fernsehen. Der Spiegel. 15. Januar 1973. Abgerufen am 14. September 2019.
- 50-JÄHRIGES JUBILÄUM - WDR zeigt Rosa-von-Praunheim-Klassiker. Stern (Zeitschrift), abgerufen am 21. Juni 2021.
- By-Products of Love - Rosa von Praunheim. Akademie der Künste, abgerufen am 5. März 2022.
- Wie man erfolgreich Schwule triggert. Queer.de, abgerufen am 6. März 2022.
- Film: ‘Not the Homosexual’. The New York Times, abgerufen am 5. März 2022.
- „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ kommt 1971 in die Kinos: „Eine schwule Entwicklung ist nicht gleichbedeutend mit einem Schaden.“ Südwestrundfunk, abgerufen am 6. März 2022.
- Buh für Bären. In: Der Spiegel. Nr. 29, 1971, S. 107 (online – 12. Juli 1971).
- Der Beitrag basiert auf der Bachelor-Arbeit der Autorin: „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“. Filmanalyse, Rezeption und Bedeutung für die deutsche Schwulenbewegung. Philipps-Universität Marburg. 2013.