Kriminalstatistik
Kriminalstatistiken sind amtliche kriminologische Statistiken, die strafbares und rechtswidriges Verhalten quantitativ erfassen und regional, z. B. auf Bundesländer oder auf ein Staatsgebilde, begrenzt sind.
Kriminalstatistiken geben Aufschluss über Täter (und spezifische Gruppierungen), Opfer, Fälle, Ermittlungsverfahren, Strafverfahren, Schäden, strafrechtliche Folgen und Kriminalgeographie mit Aufschlüsselung der Zeiträume.
Im engeren Sinne sind dies in Deutschland:
- eine Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS)
- die staatsanwaltschaftliche Erledigungsstatistik
- die Strafverfolgungsstatistik
- die Strafvollzugsstatistik
Kriminalstatistiken im weiteren Sinne sind die statistischen Materialien der Bewährungs- und Jugendhilfe, aber auch das Bundeszentralregister beim Generalbundesanwalt. Aus dem BZR ist es unter erheblichem Aufwand möglich, eine Rückfallstatistik zu entwickeln. Bisher sind 1989 und 1990 Rückfallstatistiken erschienen. Für die Daten aus 1994 ist Anfang 2004 eine Rückfallstatistik erschienen.
Bis auf die PKS handelt es sich ausschließlich um Justizstatistiken. Theoretisch ist aufgrund des polizeilichen Ermittlungsregisters sogar möglichm, eine präjudizielle Statistik („Anzeigestatistik“) zu erstellen, die jedoch aufgrund des Datenschutzes und der Effizienz polizeilicher Ermittlungstätigkeit nicht öffentlich gemacht werden können.
Eine kriminologisch interessante Verknüpfung aller Statistiken zu einer so genannten Verlaufsstatistik ist aufgrund der erheblichen Datenfülle, der unterschiedlichen Datenformate und nicht zuletzt auch aufgrund des Datenschutzes derzeit technisch und auch rechtlich unmöglich.
Kriminalstatistiken erscheinen anonym, um einen Überblick über die Kriminalitätslage zu bringen. Dabei können die Kriminalitätsstatistiken nicht zur Diagnose oder zur Prognose verwendet werden, denn das abgebildete Kriminalitätsgeschehen zeigt lediglich die polizei- und justizbekannten Taten auf (so genanntes Hellfeld).
Geschichte
Erste justizstatistische Auswertungen wurden unter Ludwig XIV. von Frankreich unternommen. Eine systematische Auswertung ist ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts nachgewiesen. Einer wissenschaftlichen Analyse wurden diese sog. Moralstatistiken erstmals 1836 durch Adolphe Quetelet unterzogen. Auch in Großbritannien, Österreich und Dänemark wurden im frühen 19. Jahrhundert Kriminalstatistiken veröffentlicht. In deutschen Landen wurden erstmals 1803 bzw. 1809 statistische Erhebungen zu Justizverwaltungszwecken in Bayern und Baden vorgenommen. Ab 1830 wurden sowohl in Preußen als auch in Bayern persönliche Merkmale von Straftätern erhoben. Seit 1882 gab es in Deutschland eine einheitliche Kriminalstatistik, die abgeurteilte Personen und abgeurteilte strafbare Handlungen erfasste. Ab 1917 wurden jedoch nur noch die Personen gezählt. In den Zeiten des NS-Regimes war geplant, eine vereinheitlichte Kriminalstatistik einzuführen. Das Vorhaben konnte jedoch wegen des Kriegsausbruchs nicht umgesetzt werden. Seit 1950 gab es für das damalige Bundesgebiet die erste Strafverfolgungsstatistik. 1953 wurde die bundeseinheitliche Polizeiliche Kriminalstatistik etabliert. 1961 kam die Strafvollzugsstatistik hinzu und 1963 die Statistik über die Bewährungshilfe und die Führungsaufsicht. Von 1976 an wurde eine staatsanwaltschaftliche Erledigungsstatistik geführt.
Interpretation
Zur Interpretation von Kriminalstatistiken ist es bei so genannten Längsschnittuntersuchungen (Untersuchungen über einen gewissen Zeitraum hinweg) notwendig, den demographischen Wandel zu berücksichtigen. Daher werden die jeweiligen absoluten Werte mit 100.000 multipliziert und durch die Bevölkerung der orts- oder altersgruppenbezogenen Größe dividiert. Dieses Vorgehen ist weltweit standardisiert und resultiert in der so genannten Häufigkeitszahl. Häufigkeitszahlen werden in der Regel nicht durch die Kriminalstatistiken ausgewiesen.
Anhand des vorliegenden statistischen Materials ist es auf Aggregatsebene möglich, eine Reduktion des polizeilichen Tatvorwurfs darzustellen. Vergleicht man die polizeilich registrierten strafmündigen Tatverdächtigen mit den Abgeurteilten und Verurteilten (und schließlich auch mit den Gefangenen), so ergibt sich eine erhebliche Abnahme. Diese Vergleichbarkeit unter den Kriminalstatistiken ist jedoch umstritten. Gerade weil die polizeiliche Kriminalstatistik anders strukturiert ist, wird eine Vergleichbarkeit verneint. Schließlich ist der Erfassungszeitraum ein anderer als bei den übrigen Statistiken. Die erfassenden Stellen sind ebenfalls unterschiedlich.
Größte Schwäche der Statistiken ist ihre rein quantitative Ausrichtung, die kaum Anhaltspunkte über die Tatschwere (insoweit nur das durch die Verfolgungsstatistik angegebene Strafzumessung) ergibt. Der Tatbeitrag (Täter- oder Mittäterschaft, Beihilfe, Anstiftung) wird ebenso kaum erfasst.
In einem im Juni 2014 veröffentlichten Interview hat der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, den Aussagewert von Kriminalstatistiken mit den Worten relativiert: „Wir wissen natürlich, dass die Kriminalitätsstatistik eigentlich so nicht heißen dürfte. Ich würde sie »Arbeitsnachweis Polizei« nennen, denn sie bildet nicht die tatsächliche Kriminalität ab, sondern lediglich die Zahl der Anzeigen in den verschiedenen Deliktsbereichen, die die Polizei bearbeitet hat, mehr nicht. Das, was die Menschen als Kriminalität oder auch als teilweise massive Ordnungsstörungen vor Ort erleben, ist etwas völlig anderes.“[1]
Siehe auch
- Lagebild (differenziert nach Kriminalgeographie, Deliktsgruppen und Täterherkunft etc.)
Literatur
- Reinhard Scholzen: Möglichkeiten und Grenzen des Aussagewerts Polizeilicher Kriminalstatistiken. In: Die Polizei, 1, 2003, S. 16–19.
Weblinks
Einzelnachweise
- „Polizisten am Limit: Interview mit dem Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) Rainer Wendt“ (Memento des Originals vom 13. Juni 2014 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , Knopp-Online, 10. Juni 2014