Jugendsoziologie
Die Jugendsoziologie ist eine spezielle Soziologie. Es werden theoretische Ansätze von Jugend entwickelt sowie zahlreiche empirische Untersuchungen durchgeführt.
In der beruflichen Praxis ist sie eng verwandt, aber nicht synonym zur Jugendsozialarbeit. Im Zentrum stehen soziologische Theorien und Forschungsergebnisse. Ergänzend wird auf wichtige Aspekte der sozialhistorischen, pädagogischen und psychologischen Jugendforschung eingegangen.
Zur Theorie
Allgemeine Ansätze heften sich z. B. an einen soziologischen Begriff der „Generation“ (Karl Mannheim), an Organisationen des Übergangs von der Kindheit zum Erwachsen-Sein (Shmuel N. Eisenstadt), an „Jugend als antizipatorische Aktivität“ (Lars Clausen) oder an „Jugend“ als Wechsel der Kommunikationsnetzwerke (in der Nachfolge von Niklas Luhmann). Jugend wird auch als Moratoriumsphase (Schutzphase) im Lebenszyklus definiert (Jürgen Zinnecker).
Im Bereich der (mit Robert K. Merton) so genannten „Theorien mittlerer Reichweite“ gab es – ausgehend von Mannheims Konzept der „Generation“ und mit Helmut Schelskys einflussreicher Untersuchung der „Skeptischen Generation“ (womit er die deutsche Nachkriegsjugend nach 1945 charakterisierte) – immer wieder Versuche, neue Generationen (Jahrgangsgruppen) mit neuen Schlagworten zu bezeichnen; z. B. die Generation Golf und die ihr folgende Generation X sowie die MTV-Generation.
Zur Empirie
Prägend für die Ursprünge der deutschen Jugendsoziologie war das geteilte und eindrucksvolle Generationserlebnis der Jugendbewegung, die Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem „Wandervogel“ eingesetzt hatte. Im zunehmend empirisch geprägten Bereich Forschung sind seither zahlreiche Untergruppen behandelt worden (von der „Arbeiterjugend“ bis zur „Kanakjugend“). Die periodisch wiederholten Shell-Jugendstudien haben aufgrund ihrer öffentlichen Verbreitung große Bedeutung erlangt. Aktuelle Diskussionen der Jugendsoziologie beschäftigen sich vermehrt mit der Unterscheidung zwischen den Phasen der Jugend und der Nachjugend (Postadoleszenz) (Hurrelmann 2006).
Rolle bei Kundenumfragen und Wahlforschung
Generationsspezifische Verhaltensweisen und die entsprechenden Altersabfolgen und durch populäre Veröffentlichungen und bestimmte zeitgebundene Unterscheidungsmerkmale (Twix oder Raider) verliehene Generations-‚Etiketten‘ werden bei Wahl- und Kundenumfragen studiert, da das Alter sehr einfach nachzuvollziehen und zu überprüfen ist. Die wissenschaftlichen Grundlagen solcher empirischer Phänomene sind deutlich schwerer zu erstellen und nachzuweisen.
Schlagworte und grobe Abfolge der Generationenabfolge in Deutschland
Ein Baby-Boom begann und endete in Deutschland deutlich später als in anderen Ländern, von 1954 bis 1967, eine Folge des Kriegsausgangs, aber als typisch erkannte Verhaltensweisen der in den USA bereits 1942 beginnenden Baby-Boomer-Generation einschließlich der Rolle der 1968er Jahre stimmen mit Deutschland überein. Es gibt dadurch keine Generation zwischen den Baby-Boomern und der Generation X in Deutschland, was in den USA und Großbritannien unter Generation Jones thematisiert wird.
- ~ 1910–1926 „Skeptische Generation“ (Helmut Schelsky). Machtbewusst, ideologieskeptisch, pragmatisch: Elterngeneration der Baby Boomer, die allermeisten Männer als junge Erwachsene bereits aktive Kriegsteilnehmer. Der kriegsbedingte Frauenüberschuss und das selbstbewusste Auftreten vieler Vertreterinnen trug zum Fräuleinwunder nach 1945 bei. Beispiele: Hans-Jochen Vogel, Helmut Schmidt, Albert Vietor, Richard von Weizsäcker, Hildegard Hamm-Brücher und Hildegard Knef.
- ~ 1926–1929 Flakhelfer-Generation. Beispiele: Papst Benedikt, Joachim Fuchsberger, Günter Grass, Dieter Hildebrandt, Helmut Kohl und Walter Kempowski.
- ~ 1930–1943 Trümmerkinder-Generation, einige ältere noch 1945 im Kriegseinsatz, generell Kinder der Zeit des Nationalsozialismus, Kriegs- und Flüchtlingskinder (und spätere 58er), Beispiele: Gesine Schwan und Gerhard Schröder.
Ab hier mangelt es an einschneidenden Kindheitserfahrungen, die Kennzeichnungen werden diffuser.
- ~ 1944–1955 Wirtschaftswunder-Generation (und viele spätere 68er), Beispiele Jürgen Schrempp, Andreas Baader, Daniel Cohn-Bendit
- ~ 1955–1970 Generation X in Deutschland, Beispiele: Ursula von der Leyen und Gabriele Pauli.
- ~ 1965–1975 Generation Golf, Beispiele: Heike Makatsch, Florian Illies.
- ~ 1980–1990 MTV-Generation, Beispiele: Charlotte Roche, Bastian Schweinsteiger
Genaueres siehe unter Generation (Gesellschaft).
Literatur
- Klaus Allerbeck, Leopold Rosenmayr: Einführung in die Jugendsoziologie. Theorien, Methoden und empirische Materialien. Quelle & Meyer, Heidelberg 1976.
- Ulrich Beck, Elisabeth Beck-Gernsheim: Generation global und die Falle des methodologischen Nationalismus. Für eine kosmopolitische Wende in der Jugend- und Generationssoziologie. In: Dirk Villányi, Matthias D. Witte, Uwe Sander (Hrsg.): Globale Jugend und Jugendkulturen. Juventa, Weinheim/ München 2007, S. 55–74.
- Lars Clausen: Jugendsoziologie. Kohlhammer, Stuttgart 1976.
- Ludwig von Friedeburg (Hrsg.): Jugend in der modernen Gesellschaft. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1965.
- Hartmut M. Griese: Aktuelle Jugendforschung und klassische Jugendtheorien. Lit Verlag, Berlin 2007.
- Dagmar Hoffmann, Jürgen Mansel: Jugendsoziologie. In: Georg Kneer, Markus Schroer (Hrsg.): Handbuch Spezielle Soziologien. VS Verlag, Wiesbaden 2010, S. 163–178.
- Klaus Hurrelmann, Gudrun Quenzel: Lebensphase Jugend. Eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Jugendforschung. 11. Auflage. Beltz Juventa, Weinheim/ München 2012.
- Katharina Liebsch (Hrsg.): Jugendsoziologie. Über Adoleszente, Teenager und neue Generationen. Oldenbourg, München 2012.
- Ben van Onna: Jugend und Vergesellschaftung. Eine Auseinandersetzung mit der Jugendsoziologie. Aspekte, Frankfurt am Main 1976.
- Bernhard Schäfers, Albert Scherr: Jugendsoziologie. Einführung in Grundlagen und Theorien. 8. Auflage. VS Verlag, Wiesbaden 2005.
- Albert Scherr: Jugendsoziologie. Einführung in Grundlagen und Theorien. 9. Auflage. VS Verlag, Wiesbaden 2009.
- Jürg Schiffer: Zentrale Probleme der Jugendsoziologie. 2. Auflage. Haupt, Bern u. a. 1977.