Hochreligion
Die Bezeichnung Hochreligion (auch Kulturreligion) wurde um die Wende zum 20. Jahrhundert eingeführt, um in enger Auslegung die (angeblich) „höher entwickelten“ monotheistischen Religionen oder in weiter Auslegung alle Weltreligionen von den sogenannten „Primitivreligionen der Naturvölker“ (→ ethnische Religionen) abzugrenzen. Eine allgemeingültige Definition gibt es allerdings nicht.
Nach Karl-Heinz Ohlig beispielsweise handelt es sich dann um eine Hochreligion, wenn weder Fruchtbarkeits- noch Opferkult sowie weder Polytheismus noch Schamanentum in einer Religion vorkommen. Linda Schele und David Freidel hingegen beziehen ihre Festlegung auf die Religionen der historischen Hochkulturen, die – wie im Falle der Maya und Azteken – Ohligs Ausschlusskriterien nicht erfüllen. Kurt Goldammers Ansatz sieht den Unterschied im Gottesglauben statt Dämonenkult. Gustav Mensching schließlich setzt die Hochreligionen mit den Weltreligionen gleich und stellt sie der Volksfrömmigkeit gegenüber.[1]
Der Begriff Hochreligionen ist jedenfalls in der Religionswissenschaft umstritten, da er eine angebliche kulturelle Höherentwicklung des religiösen Symbolsystems suggeriert.[2]
Kriterien für Hochreligionen
Folgende Kriterien werden häufig genannt, um Hochreligionen zu klassifizieren:[3]
- umfangreich ausgebaute Lehre, zumeist schriftlich fixiert (→ Buchreligion)
- komplexe hierarchisch gegliederte Organisationsformen mit verschiedenen Institutionen und Ämtern
- religiöse Vollzeitspezialisten (Priestertum), die ekklesiastische (streng ritualisierte, personengebundene, bürokratisierte) Kulte verwalten
- Trennung von Religion und Alltag, häufig jedoch enge Bindung von Staatsmacht und Religion
- oftmals Missionierung oder Verfolgung anderer Glaubensvorstellungen
Kritik
Der Begriff wird häufig als eurozentrisch wertende idealtypische Klassifizierung kritisiert, da er eine grobe willkürliche Abgrenzung vornimmt, die in der Realität nicht vorhanden ist. Überdies wird er als abwertendes Pejorativum bezeichnet, da die Silbe Hoch- impliziert, es handele sich um weiterentwickelte, „bessere“ Religionen. Die Kritiker sind nicht nur Fachfremde, sondern stammen auch aus den Reihen der Religionswissenschaftler, wie etwa Hans G. Kippenberg.
Bei der vergleichenden Betrachtung der Religionen lässt sich keine klare Klassifizierung festlegen, da die Übergänge ausgesprochen fließend oder die Unterschiede kaum vergleichbar sind: So kennen die sogenannten „Primitivreligionen“ außerordentlich komplex-philosophische Vorstellung göttlicher Kräfte, die auf die gesamte Lebenswelt einwirken (siehe beispielsweise Manitu, Wakan und Orenda aus Nordamerika) und umgekehrt werden etwa in der Hochreligion Katholizismus – der den Fetischismus als heidnischen Aberglauben ablehnt – Reliquien wie Fetische verehrt.[4][1]
Einzelnachweise
- Ernst Feuerbaum: Evolution der Religionen und der Religiosität: Spiegel der Menschheitsentwicklung. BoD, Füssen 2011, ISBN 978-3-8448-6962-0. S. 40–42.
- Stichwort: Hochreligionen in wissen.de, abgerufen am 16. Mai 2015.
- Marvin Harris: Kulturanthropologie – Ein Lehrbuch. Aus dem Amerikanischen von Sylvia M. Schomburg-Scherff, Campus, Frankfurt/New York 1989, ISBN 3-593-33976-5. S. 278–316.
- Carola Meier-Seethaler: Jenseits von Gott und Göttin: Plädoyer für eine spirituelle Ethik. C.H.Beck, München 2001 ISBN 3-406-47564-7. S. 22.