Henry Ormond
Henry Ormond (* 27. Mai 1901 in Kassel als Hans Ludwig Jacobsohn, nach Adoption im Jahr 1920 Hans Ludwig Oettinger; † 8. Mai 1973 in Frankfurt am Main) war ein deutscher Jurist jüdischer Herkunft. 1946/47 gehörte er als britischer Presseoffizier zu den Gründungsvätern des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Später vertrat er als Rechtsanwalt NS-Opfer vor bundesdeutschen Gerichten.
Biografie
Als Hans Ludwig Jacobsohn geboren besuchte er in Mannheim die Schule und studierte in Heidelberg und Berlin Rechtswissenschaft. Nach dem Assessorexamen 1926 trat er in den Justizdienst ein und war Richter am Amtsgericht Mannheim.
Im Mai 1933 versetzten die Nationalsozialisten Ormond auf der Grundlage des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ wegen seiner jüdischen Abstammung in den Ruhestand. Er verdingte sich als Justitiar bei einer Frankfurter Kohlegroßhandlung, wo er 1938 als „Nichtarier“ ebenfalls entlassen wurde.
Am 12. November 1938 verhaftete ihn die Gestapo im Zuge der Novemberpogrome und verschleppte ihn ins KZ Dachau. Mitte März 1939 wurde er unter der Auflage, aus Deutschland auszureisen, mit Erfrierungen an beiden Händen entlassen.
Emigration
Im Sommer 1939 gelangte Ormond über die Schweiz nach Großbritannien. Bis zur Internierung als „feindlicher Ausländer“ in Kanada 1940 arbeitete Ormond als Hausangestellter in einem englischen Pfarrhaus. Nach 14 Monaten aus der Internierung entlassen, meldete er sich noch in Kanada als Freiwilliger im Juli 1941 in die britische Armee und leistete Pionier-, Wach- und Bürodienst in England, ab August 1944 in Frankreich. Im Juli 1943 nahm er den Namen Henry Lewis Ormond an.
Bei Kriegsende kehrte er als britischer Besatzungsoffizier nach Deutschland zurück. In der Information Service Division arbeitete Ormond im Rang eines Stabsfeldwebels zunächst in Hannover als Presseoffizier und gehörte gemeinsam mit John Seymour Chaloner, Harry Bohrer und Rudolf Augstein zu den Gründern der Zeitschrift Diese Woche, die nach sechs Ausgaben 1947 in das Magazin Der Spiegel umgewandelt wurde.
Anwalt von NS-Opfern
Im April 1950 ließ sich Ormond als Rechtsanwalt in Frankfurt am Main nieder und konzentrierte seine Tätigkeit auf Entschädigungs- und Rückerstattungsverfahren für NS-Opfer und auf die Verfolgung der NS-Täter. Er vertrat Norbert Wollheim im ersten Musterprozess für Zwangsarbeiter gegen die IG Farben i.L., in dem er auf Erstattung vorenthaltenen Arbeitslohns und Schadensersatz klagte.[1] Nach knapp zweijähriger Verhandlung gab das Gericht Wollheim Recht und verurteilte die I.G. Farben 1953 zur Zahlung von 10.000 DM. Das Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main endete 1958 mit einem Vergleich zwischen der I.G. Farben einerseits und Wollheim sowie der Jewish Claims Conference andererseits; insgesamt wurden 30 Millionen DM an ehemalige Zwangsarbeiter der I.G. Farben im KZ Auschwitz-Monowitz gezahlt.
In zahlreichen Strafprozessen vertrat Ormond NS-Opfer bzw. ihre Angehörigen als Nebenklägervertreter. So trat er im ersten Auschwitzprozess 1963 bis 1965 für 15 Nebenkläger auf. Am 8. Juni 1964, zu diesem Zeitpunkt lief der Prozess seit einem halben Jahr, beantragte Ormond eine Ortsbesichtigung in Auschwitz. Gegen Bedenken der Justizministerien in Wiesbaden und Bonn – zu Polen bestanden damals keine diplomatischen Beziehungen – wurde der Augenschein, nachdem Polen in den Ortstermin eingewilligt hatte, am 14. Dezember 1964 durchgeführt. Die Besichtigung des Tatorts hatte nach Berichten von Beobachtern nachhaltige Wirkung auf die Beteiligten des Prozesses wie auf die deutsche Öffentlichkeit.[2]
Neben seiner Tätigkeit als Rechtsbeistand von NS-Opfern betätigte er sich in Hilfsorganisationen für Israel.
Ormond verstarb 1973 während eines Plädoyers im Gerichtssaal an einem Herzinfarkt.[3]
Veröffentlichungen
- Zwischenbilanz im Auschwitz-Prozeß. In: Tribüne. Bd. 3, 1964, S. 1183–1190.
- Rückblick auf den Auschwitz-Prozess In: Tribüne. Bd. 4, 1965, S. 1723–1728.
- Plädoyer im Auschwitz-Prozess von Henry Ormond am 24.5.1965. München 1965.
- Replik des Rechtsanwalts Henry Ormond im Auschwitz-Prozess. In: Frankfurter Hefte. Bd. 20, 1965, S. 827–837.
- Auschwitz-Ausstellung Hannover vom 17. November 1965 bis 14. Dezember 1965. Ansprache in der Feierstunde zur Eröffnung der Auschwitz-Ausstellung am Mittwoch, dem 17. November 1965. Hannover 1965.
- Von der Ideologie der Unmenschlichkeit zur Lüge vom Befehlsnotstand. In: Henry Ormond, Gerd-Klaus Kaltenbrunner: Rassenmystik, Mordpraxis, Neonazismus. München 1967, S. 1–37.
- Nazi crime and German law. In: The Wiener Library bulletin. Bd. 21, 1967, Nr. 1, S. 16–21.
Literatur
- Christian Ritz: Die westdeutsche Nebenklagevertretung in den Frankfurter Auschwitz-Prozessen und im Verfahrenskomplex Krumey/Hunsche. In: Kritische Justiz. Bd. 40, 2007, H. 1, S. 51–72.
- Dolf Weber: Henry Ormond – ein juristisches Gewissen Deutschlands. In: Klaus Reichert u. a. (Hrsg.): Recht, Geist und Kunst. Liber amicorum für Rüdiger Volhard. Baden-Baden 1996, S. 208–224.
- Walter Witte: Alles zu seiner Zeit. Rechtsanwalt Henry Ormond (1901–1973). Unveröffentlichtes Typoskript, undatiert. Kopie im Archiv des Fritz Bauer Instituts.
- Katharina Rauschenberger, Werner Renz (Hrsg.): Henry Ormond. Anwalt der Opfer: Plädoyers in NS-Prozessen. Campus, Frankfurt/New York 2015.
Weblinks
- Lebenslauf im Archiv des Institut für Zeitgeschichte (PDF-Datei; 76 kB)
- Kurzbiografie der Gedenkstätte Deutscher Widerstand
- Foto von Henry Ormond auf Saalbau.com
- Wollheim Memorial: Der Wollheim-Prozess mit den Plädoyers Ormonds in 1. und 2. Instanz
Einzelnachweise
- Klageschrift des Wollheim-Prozesses.
- Matthias Arning: Aufwühlende Anklagen. (Memento vom 20. Februar 2009 im Internet Archive) In: Frankfurter Rundschau, 30. März 2004; Sybille Steinbacher: Auschwitz. Geschichte und Nachgeschichte. München 2004, S. 116.
- Datum: 14. Mai 1973. In: Der Spiegel Nr. 20, 14. Mai 1973, S. 3.