Birth of the Cool
Birth of the Cool ist ein Jazzalbum von Miles Davis, das am Übergang vom Bebop zum Cool Jazz steht. Seine erste Zusammenarbeit mit dem Arrangeur Gil Evans wurde mit dem sogenannten „Capitol Orchestra“ eingespielt.
Das Album
Das 1957 als Langspielplatte veröffentlichte Album enthält elf Musiktitel. Ursprünglich wurden einige der Kompositionen, die an zwei Studioterminen 1949 und an einem 1950 aufgenommen wurden, von Capitol Records auf Schellackplatten veröffentlicht; diese acht Stücke waren bereits 1954 auf einer Vinyl-EP der Classics-in-Jazz-Reihe zusammengefasst worden.[1] 1971 wurde bei einer Neuauflage der LP als zwölfter Titel „Darn That Dream“ (mit Sänger Kenny Hagood) hinzugefügt, der seitdem in allen weiteren Auflagen enthalten ist.
Das Capitol-Orchestra vereinte einerseits afroamerikanische Musiker, die vom Bebop kamen, und andererseits weiße Musiker, die aus der Big Band von Claude Thornhill stammten. Dieses Bandprojekt spielte erstmals im August und September 1948 für zwei Wochen im Royal Roost zusammen. 1949 spielten sie auch im Clique Club. Die Gruppe war aber finanziell nicht erfolgreich und wurde 1950 aufgelöst.[2]
Zu den Instrumenten dieser aufgrund der Beratung von Gil Evans nach den Klangfarben zusammengestellten „middle band“ gehörten neben einer Trompete (Davis), einem Altsaxophon (Lee Konitz), einem Baritonsaxophon (Gerry Mulligan), einer Posaune (J. J. Johnson bzw. Kai Winding), einem Piano (John Lewis bzw. Al Haig), Kontrabass (Al McKibbon, Joe Shulman bzw. Nelson Boyd) und Schlagzeug (Max Roach bzw. Kenny Clarke) auch ein Waldhorn (teilweise Gunther Schuller) und eine Tuba (Bill Barber) als Melodieinstrument. So konnten eigenartig schwebende, dunkle Sounds entstehen.[3] Die Bläser wurden in den Arrangements häufig als selbständig geführte Stimmen eingesetzt. Traten sie aber zusammen, so wurden sie parallel geführt, aber in sechsstimmigen, damals im Jazz ungewöhnlichen Akkorden. Die Musiker spielten mit leichtem, vibratolosem Ton. Ausgehend von der für Claude Thornhill geschaffenen Ästhetik, die auf dieses Orchester übertragen wurde, entstand eine eigentümlich introvertiert anmutende Musik. Besonders in den Arrangements von Gil Evans fallen polyphone Passagen auf; Mulligan arbeitete bereits (in „Jeru“) mit Taktwechseln. Die avancierteste Komposition Israel, ein polyphoner Blues, stammt vom Wolpe-Schüler Johnny Carisi.
Tracks des Originalalbums
- Move (Denzil Best) – 2:32
- Jeru (Gerry Mulligan) – 3:10
- Moon Dreams (Chummy MacGregor, Johnny Mercer) – 3:17
- Venus de Milo (Mulligan) – 3:10
- Budo (Miles Davis, Bud Powell) – 2:32
- Deception (Davis) – 2:45
- Godchild (George Wallington) – 3:07
- Boplicity (Cleo Henry)[4] – 2:59
- Rocker (Mulligan) – 3:03
- Israel (Johnny Carisi) – 2:15
- Rouge (John Lewis) – 3:13
- Darn That Dream (Eddie DeLange, Jimmy Van Heusen) – 3:26
Aufnahmedaten
(aufgenommen in New York)
1, 2, 5, 7 – 21. Januar 1949
4, 8, 10, 11 – 22. April 1949
3, 6, 9, 12 – 9. März 1950
Arrangements
1, 5, 11 – John Lewis
2, 4, 6, 7, 9, 12 – Gerry Mulligan
3, 8 – Gil Evans
10 – Johnny Carisi
Bedeutung
Davis meinte zu den Aufnahmen in seiner Autobiographie: „Wir spielten uns etwas sanfter in die Ohren der Leute als Bird oder Dizzy, bewegten uns in Richtung Mainstream. Mehr war’s nicht.“[5] Anders sah dies Joachim Ernst Berendt: „Mit diesen Stücken wurde ein Klangbild durchgesetzt, das schulebildend auf die ganze Entwicklung des kühlen Jazz gewirkt hat.“[6] Zu einem wichtigen, ja sogar „programmatischen Konzeptalbum“ wurde Birth of the Cool aber erst im jazzhistorischen Rückblick.[7] Denn auf Platte wurden die Titel erst veröffentlicht, als die coolen Aufnahmen von Davis aus der Mitte der 1950er schon auf dem Markt waren. Dennoch beeinflussten sie den West Coast Jazz sehr.[8]
„Zusätzlich zu raffinierten Arrangements enthielten diese Nummern die sichersten Soli von Davis, die er bis zu diesem Zeitpunkt auf Platte aufgenommen hatte“, schrieb sein Biograph Eric Nisenson.[9] Nach Nisenson hatte Davis damals zu seinem Stil gefunden; die Aufnahmen erschienen als Birth of the Cool. Das Etikett cool blieb eine Weile an Davis haften: „Ich habe nie verstanden, warum das so genannt wurde; ich glaube, was die wirklich gemeint haben, ist ein sanfter Klang – nicht so durchdringend,“ meinte Davis.[10]
Die Musikzeitschrift Jazzwise nahm das Album in die Liste „The 100 Jazz Albums That Shook the World“ auf.[11]
Neuere Editionen
In der CD Complete Birth of the Cool (1998) sind neben den klanglich überarbeiteten Originaltiteln weitere Aufnahmen des Nonetts vom 4. und 18. September 1948 enthalten; diese waren ursprünglich für eine Hörfunksendung von Symphony Sid im „Royal Roost“ mitgeschnitten worden. Sie erschienen auch separat unter dem Titel Real Birth of the Cool oder als Cool Boppin’.[12]
Aufgrund der großen Bedeutung des Albums für den Jazz hat der für seine zahlreichen Jazzaufnahmen bekannte Tonmeister Rudy Van Gelder eine neuerliche Digitalisierung der ursprünglichen Aufnahmen vorgenommen. Diese CD erschien 2000 unter dem Titel Birth of the Cool - The Rudy Van Gelder Edition beim Label Blue Note Records.
Neuaufnahmen der Arrangements
1991 entschied sich Gerry Mulligan, die Arrangements noch einmal zu beleben; Miles Davis zeigte sich interessiert, allerdings kam es zu den Aufnahmen zu Re-Birth of the Cool erst nach seinem Tod. John Lewis und Bill Barber von der Originalband nahmen teil sowie Wallace Roney, Phil Woods, Dave Bargeron, John Clark und das Rhythmus-Team von Mulligan. Die Neu-Interpretationen der einzelnen Stücke brauchten sich nicht mehr an das Single-Format zu halten, so dass auch längere Soli eingespielt wurden.[13]
Joe Lovano legte auf seinem Album Streams of Expression 2006 drei der Arrangements vor (Move, Moon Dreams und Boplicity), die für eine konventionellere und etwas größere Besetzung umgeschrieben und in eine neue Birth of the Cool-Suite von Gunther Schuller eingebettet waren, die harmonisch weitaus komplexere Strukturen als das Original aufweist.[14]
Literatur
- Ralf Dombrowski: Basis-Diskothek Jazz (= Reclams Universal-Bibliothek. Nr. 18372). Reclam, Stuttgart 2005, ISBN 3-15-018372-3.
- Stephanie Stein Crease: Gil Evans: Out of the Cool – His life and Music. Chicago: A Cappella Books/Chicago Review Press, 2002. ISBN 978-1-55652-493-6.
Weblinks
- Birth of the Cool im Internet Archive
- Noal Cohen: The Birth of the Cool Legacy, Part 1: Miles Davis. Noal Cohen's Jazz History Website - Jazz History and Discography, 17. Juli 2018, abgerufen am 22. Juli 2018 (englisch).
- Nat Hentoff: The Birth Of Cool: Gil Evans. Down Beat, 2. Mai 1957, abgerufen am 3. Februar 2021 (englisch).
Einzelnachweise und Anmerkungen
- Vgl. Linernotes von Pete Welding sowie Ralf Dombrowski: Basis-Diskothek Jazz. Stuttgart 2005, S. 58
- vgl. Stephanie Stein Crease: Gil Evans: Out of the Cool – His life and Music. Chicago 2002, S. 156ff.
- Andre Asriel: Jazz. Aspekte und Analysen. Lied der Zeit Musikverlag, Berlin 1986, S. 187
- als Pseudonym für Davis und Gil Evans
- Miles Davis: Die Autobiographie. Hamburg 1993, S. 143
- Joachim E. Berendt: Das Jazzbuch. Von Rag bis Rock. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 1973, S. 97
- Ralf Dombrowski: Basis-Diskothek Jazz. Reclam-Verlag, Stuttgart 2005, S. 67
- Scott Yanow: Jazz: A Regional Exploration Westport CT 2005, S. 141
- Eric Nisenson: Miles Davis. Round About Midnight: Ein Porträt. Wien 1985, S. 78
- zit. nach Nisenson, S. 78.
- Keith Shadwick schrieb in seiner Begründung::„The wonder of Miles’ career is the sheer amount of times he seized the moment, grabbed the right people, and got them to deliver their best creative thoughts for him. The first time was with Charlie Parker, but by the time he landed a contract with Capitol for some modern jazz sides with an augmented group, he was able to operate freely, pulling in the restless writing talents of Gil Evans, John Lewis, Gerry Mulligan and John Carisi to create a unified and superbly subtle backdrop for his emergent lyricism. The world is changed, part one.“ The 100 Jazz Albums That Shook The World
- gekoppelt mit sechs Stücken der Tadd Dameron Band mit Miles Davis, darunter die Titel Good Bait, Focus, Webb’s Delight und Cashbah
- Vgl. Scott Yanow: Re-Birth of the Cool.
- Will Layman, J. Lovano: Streams of Expression (ausführliche Besprechung, englisch)